Stadt, flüchtige   Sie kommen mit einem Schnauben an, das vielleicht zum Geheimkode der Straße gehört, Erkennungszeichen für andere, Einsatzbereitschaft. Wenn es Abend wird, parken sie hinter- oder nebeneinander; ein verstohlenes Hin und Her von Silhouetten und Dialogen entspinnt sich in der fortschreitenden Dunkelheit. Fafnir genießt unter ihnen den Respekt, der einem kleinen Transporter zusteht, Hände werden zu einem freundschaftlichen Gruß erhoben, man lächelt komplizenhaft. Die großen Rastplätze mit Tankstelle, Laden und fast immer einem Restaurant erleben jede Nacht die Entstehung einer kurzlebigen, schillernden, kleinen Stadt, die nur einmal existieren wird, um am nächsten Tag durch eine ähnliche, aber doch andere abgelöst zu werden. Plötzlich ist die Stadt vollständig, und es ist die internationalste Stadt der Welt, mit bulgarischen, französischen, deutschen, spanischen, griechischen, belgischen Häusern, langgestreckten Häusern mit Aufschriften oder solchen mit großen Planen, die das Geheimnis bergen; Häusern mit vielen kleinen Räumen, mit Küchen, Badern, Fernsehen, Licht; Häusern, in denen ein Paar wohnt oder ein Mann oder eine Frau allein, manchmal Hunde, manchmal Kinder, und immer Gaskocher, Flaschen mit Wein und Bier, der Duft von Suppe oder Pommes frites.

Wenn man in Paris ab und zu eine Frau sieht, die einen schweren Lastwagen fährt, löst das bei den Männern immer noch einen Anflug von Überraschung aus, die aber schnell überspielt wird, so als schämten sie sich, das immer noch als eine Übertretung oder gar als Unverfrorenheit zu betrachten. Auf der Autobahn stellt sich fast ein Gefühl der Bewunderung ein, wenn man ein Monstrum von weiß ich wieviel Tonnen mit seinem ebenfalls riesigen Anhänger anhalten sieht, und plötzlich ein blonder Lichtreflex über dem Lenkrad, weiße Arme und eine bunte Bluse, und dann steigt eine Frau mit ungezwungenen, bestimmten Bewegungen aus, fraulicher als manch eine andere Frau, und klopft mit dem Schuh die Reifen ab, überprüft die Befestigung und die Spannung der Plane, füllt sich die Wasserflasche und geht in die Toilette, um dann mit gewaschenem Gesicht wieder herauszukommen, sich das Haar zu schütteln, sich mit sichtlichem Genuß die Beine zu vertreten. Fast immer wird sie von einem großen Hund begleitet, der zahm und verspielt, in der Kabine aber vielleicht ganz anders ist. Meistens kommt kurz danach ein zweiter LKW derselben Firma, ein Mann steigt aus, und das Paar ist für den Halt, für die Nacht komplett. Manchmal sind es auch zwei Männer; zwei Frauen haben wir bisher noch nicht gesehen. Der willkürliche Aufbau der Gespensterstadt läßt uns Begegnungen beiwohnen, die zwar zufällig, aber doch Teil des Kodex sind, wie vor ein paar Tagen, als wir dieses junge Fernfahrerpärchen sahen, das sich nur bruchstückhaft unterhalten konnte, durch Lächeln und Gesten und die Freude, einander sympathisch zu sein. Sie fuhr einen schwedischen Laster, er war Franzose; mit Sicherheit verfügten sie nur über ein Vokabular von fünfzig englischen Wörtern, aber dessenungeachtet machten sie Photos voneinander, besuchten sich gegenseitig in den Kabinen, um ein Bier oder eine Konservendose aufzumachen. Das alles währte nur kurze Zeit, ein tyrannischer Zeitplan hinderte sie daran, sich in die nächtliche Stadt einzufügen, es sei denn, sie hätten beschlossen, sich auf dem nächsten, tauglicheren Rastplatz wiederzutreffen (dieser war es nämlich nicht, Fafnir vegetierte dort unter dem Zwang des Gesetzes unserer Expedition vor sich hin und schaute drein wie ein vertrockneter Fliegenpilz, was sich auf uns übertrug).

Wir sahen die jungen Fernfahrer in ihr Führerhaus steigen, sie fuhr mit zu einem letzten Gruß erhobener Hand als erste los, und er folgte ihr, nachdem er uns zugelächelt hatte, als verstünde er, daß wir uns keinen besseren Ort aussuchen konnten, oder als dächte er einfach nur, wir seien dumm. Wir dachten noch lange über diese flüchtige Begegnung nach, die ihnen vielleicht ein Stückchen weiter ein langes nächtliches Glück bescheren würde, vielleicht aber auch nie.  - Julio Cortázar, Carol Dunlop: Die Autonauten auf der Kosmobahn. Frankfurt am Main 2014 (BS 2481, zuerst 1983)

 

Stadt Verflüchtigung

 

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