Stadt, Ewige  Nach stundenlangem, kräftezehrendem Marschieren durch eine Ebene, in der es kein Kino gab, gelangten Pius VII. und die Bäckerin, die Lust hatten, einen Film von Charlie Chaplin zu sehen, zur Zollkanzlei einer Stadt, die aus Häusern bestand, so schmal und hoch wie die amerikanischen Wolkenkratzer. Sie unterschieden sich von ihnen nur durch ihre Trichterform, wobei das sich verjüngende Ende dem Boden zugekehrt war. Da die Bäckerin sich über die Form dieser Behausungen wunderte, erklärte ihr Pius VII., es seien ihre Treppen, die ihnen dieses wunderliche Aussehen verliehen, denn sie befänden sich nicht im Innern der Gebäude, sondern außen. Beim Nähertreten bemerkte die Bäckerin, daß sich in der Mitte dieser Treppen ; eine Art Rinne befand, durch die, ähnlich wie ein Wasserrinnsal, eine grüne Flamme lief.

„Was ist das?" fragte sie.

„Nichts, meine Tochter, das ist nur der Urin der Bewohner."

„Was für außergewöhnliche Leute das sein müssen!" versetzte sie unsicher.

Und grübelnd dachte sie über das mutmaßliche Aussehen der Stadtbewohner nach.

Tatsache ist, daß sie ziemlich beängstigend waren: eine Art Spirale, die aus Gummi zu sein schien, einen Meter breit und je nach Individuum 4 bis 5 Meter lang. Die einen waren weiß und die anderen zitronengelb. Pius VII. erklärte der Bäckerin: „Die weißen Spiralen sind Frauen und die gelben Männer."

„Aber wo sind wir?" fragte die Bäckerin.

„Entblöße dein Haupt: Wir sind in der Ewigen Stadt."

Roma, nicht möglich! Ich dachte, du seiest der einzige- Bewohner dieser Stadt!"

Pius VII. führte die Bäckerin durch enge Gassen, in denen es von diesen lebenden Spiralen wimmelte, zum Vatikan. Auf der Via Appia begegneten sie einem Mann, der das Bündel der Liktoren trug.

„Was ist denn das für ein Vogel?" entfuhr es der Bäckerin. „Er macht mir Angst. Ich wette, das ist Nero."

„Nein, hab' keine Angst. Es ist Mussolini."

Mussolini drehte sich nach ihnen um und fragte sie in herausforderndem Ton:

„Wollt ihr mich etwa fotografieren, blödes Gesindel? Daß ich Faschist bin, ist noch lange kein Grund, mich wie einen Ichthyosaurus anzuglotzen."

Nachdem der Papst Mussolini gegrüßt hatte, wie man einen allgewaltigen, gefährlichen Führer grüßen muß, indem man ihm nämlich mitten ins Gesicht spuckt, schenkte er ihm eine Handvoll Pfeffer.

Mussolini schien mit dem Präsent zufrieden und entfernte sich spornstreichs.   - Benjamin Péret, Die Schande der Dichter. Prosa,Lyrik, Briefe. Hamburg 1985 (edition nautilus)

 

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