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orient
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Stadt, heilige (2) ßenares! Nirgends in der Welt gibt es fettere Rinder und dickere Affen — und nirgends gibt es magerere und elendere Menschen. Hier hat das Leben einen anderen Inhalt als irgendwo sonst in der Welt. Vernunft und Logik, das sind Dinge, die es nicht gibt in der heiligen Stadt; Wahnsinn ist hier zur Methode, zu vielen tausend Methoden geworden. Be-nares, die Stadt dos Herzens, die Stadt des Gefühls, die Stadt der wildesten Mystik, die Stadt, die die Gottheit in sich selbst erlebt. Denn die brahmanische Religion verachtet tief das Hirn und den Kopf: sie wendet sich nur an das Blut und an das Herz. Und der nährende Muskel, der dem gewaltigen Körper dieses Kultus ßlut gibt, der alte, ewig junge Herzmuskel des Hindutumes, das ist die Ganga und die heilige Stadt an ihren Ufern: Waranasi, die Stadt, die das beste Wasser hat. —
So ist ßenares die heilige Stadt des Wahnsinns. Ich fühle sie wohl — irgendwo
in mir. Irgendein längst gestorbener Instinkt aus der Urväter Zeit wacht in
mir auf: der mag sich wohl in Verbindung setzen mit ihr. Ich aber kann es nicht.
Ich kann das nicht greifen, was die Menschen Benares nennen. Nichts bleibt mii
von ihr als ein schwüler, entsetzlicher Klang und eine fressende Flamme des
Wahnsinns. - Hanns Heinz
Ewers, Indien und Ich. München 1918 (zuerst 1911)
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