tachel

Stachlichkeit

- Aus: Songes drolatiques de Pantagruel, 1565, nach (fisch)

Stachel (2) Schauen wir uns an, wie die zweigestreifte Dolchwespe (Scolia bifasciata, Van der Lind) mit ihrem Rosenkäferengerling umgeht.

Der eingesperrte Engerling versucht seiner fürchterlichen Nachbarin zu entfliehen. Auf dem Rücken liegend arbeitet er sich mühsam vorwärts und kriecht im Rund des gläsernen Zirkus wieder und wieder im Kreis herum. Bald wird die Dolchwespe aufmerksam, was sie durch ständiges Klopfen mit den Spitzen ihrer Fühler auf dem Tisch zu verstehen gibt, der ihr jetzt wie ein ganz gewohnter Boden dient. Der Hautflügler fällt über seine Beute her und stürmt von hinten das unförmige Stück. Er erklettert den Engerling des Rosenkäfers und stützt sich dabei auf das äußerste Ende seines Hinterleibs. Der Überfallene kriecht nur um so schneller rücklings weiter, rollt sich aber nicht in Verteidigungshaltung ein. Die Dolchwespe erreicht das Vorderteil, was allerdings nicht gelingt, ohne daß sie abstürzt und manche andere Mißgeschicke in Kauf nehmen muß, bis es, je nach der Toleranz der Larve, schließlich doch zur provisorischen Umklammerung kommt.

Mit ihren Mandibeln packt sie eine Stelle des Thorax auf dem Rücken; sie legt sich quer über das Tier, krümmt sich zu einem Bogen und versucht mit dem Bauchende die Stelle zu finden, die für den Stacheleinstich vorgesehen ist. Der Bogen ist etwas zu kurz, um den gesamten Umfang der beleibten Beute auch wirklich ganz umspannen zu können; und so zie-hen sich die wiederholten Versuche und Bemühungen in die Länge. Das Ende des Abdomens plagt sich ab, sucht und sucht, setzt hier an, dann da, dann dort, verweilt jedoch zunächst nicht an einer bestimmten Stelle. Allein schon dieses hartnäckige Suchen zeigt uns, wie wichtig für die zur Lähmung ansetzende Dolchwespe der Punkt ist, wo ihr Operationsmesser, ihr Stachel, eindringen soll.

Unterdessen kriecht der Engerling auf dem Rücken unverdrossen im Kreis herum. Plötzlich rollt er sich zusammen und befördert mit einem Kopfstoß den Feind weit weg. Der Hautflügler läßt sich durch alle diese Fehlschläge keineswegs entmutigen, richtet sich wieder auf, streicht seine Flügel glatt und beginnt aufs neue, den Koloß zu erstürmen, indem er meistens über das Hinterteil auf den Engerling zu klettern versucht. Endlich nach sehr vielen vergeblichen Anläufen gelingt es der Dolchwespe, die richtige Stellung einzunehmen. Sie sitzt quer auf dem Engerling des Rosenkäfers; die Mandibeln halten mit ihren Zangen ein Stück des Rückenschildes fest; der Körper, zum Bogen gekrümmt, schiebt sich unter der Larve durch und erreicht mit dem Ende des Bauches eine Stelle dicht am Hals. Der Engerling des Rosenkäfers befindet sich in höchster Gefahr, er windet sich, rollt sich zusammen, streckt sich wieder, dreht sich um sich selbst. Die Dolchwespe läßt ihn gewähren. Sie hält ihr Opfer fest umschlungen, dreht sich mit ihm, läßt sich hin- und herziehen, liegt mal darauf, mal darunter, auch daneben, ein Spielball vielfacher Verrenkungen. Ihre Raubgier ist so groß, daß ich jetzt sogar die Glasglocke entfernen und mir aus nächster Nähe ganz unmittelbar die Einzelheiten des Zweikampfes anschauen kann.

Kurz und gut, ungeachtet des ganzen Wirbels fühlt das Bauchende der Dolchwespe, daß der geeignete Punkt gefunden ist. Jetzt, aber erst jetzt, wird der Stachel eingeführt. Er dringt ein. Schon ist es geschehen. Der bisher lebhafte und äußerst pralle Engerling wird plötzlich regungslos und schlaff. Er ist gelähmt. Von nun an bewegt er nichts mehr außer den Fühlern und den Mundwerkzeugen, die noch lange Zeit einen Rest von Leben andeuten werden. In der Reihe der Kämpfe, die unter meiner Glasglocke ausgetragen wurden, hat der Punkt des Einstichs nie gewechselt: Er liegt stets genau in der Mitte der Verbindungslinie zwischen dem Prothorax und dem Mesothorax, und zwar auf der Bauchseite. Halten wir fest, daß auch die Knotenwespe, wenn sie Rüsselkäferlarven lähmt, die ebenfalls genau wie der Engerling des Rosenkäfers ein zentralisiertes Nervensystem besitzen, ihren Stachel stets am selben Punkt einführt. Der übereinstimmende Aufbau des Nervensystems legt die übereinstimmende Methode fest. Weisen wir auch noch darauf hin, daß der Stachel der Dolchwespe einige Zeit in der Wunde verweilt und mit entschiedener Beharrlichkeit darin wühlt. Nach den Bewegungen der Spitze des Abdomens zu urteilen, sollte man durchaus annehmen, daß die Waffe diese Stelle genau untersucht und dann erst ihre Wahl trifft. Da sie sich nach der einen wie nach der anderen Seite hin nur in begrenztem Maße frei bewegen kann, sucht die Spitze des Stachels sehr wahrscheinlich genau die kleine Nervenmasse, in die gespritzt oder die zumindest mit Gift beträufelt werden muß, damit die Lähmung jäh und rasch eintritt.

Diese umfassende Schilderung des DuelIs will ich jedoch nicht abschließen, ohne noch einige andere weniger bedeutsame Tatsachen zu erwähnen. Die zweigestreifte Dolchwespe macht wie besessen Jagd auf den Engerling des Rosenkäfers. Im Verlauf einer einzigen Begegnung ersticht ein und dieselbe Mutter vor meinen Augen drei Engerlinge hintereinander. Den vierten rührt sie nicht mehr an; mag sein, sie ist ermattet oder die Giftblase ist leer. Doch ihre Ablehnung ist nur vorübergehend. Schon am darauffolgenden Tag fängt sie wieder von vorn an und lähmt zwei Engerlinge; am übernächsten Tag abermals, wobei ihr Eifer jedoch täglich nachläßt. - (fab2)

Stachel (3) Bilbo setzte  sich mit dem Rücken an einen Baum, und nicht zum letztenmal wanderten seine Gedanken zu der weit entfernten Hobbithöhle mit ihren wunderbaren Speisekammern zurück. Er war tief in Gedanken an Speck und Eier, geröstetes Brot und Butter versunken, als er etwas seine Haut berühren fühlte. Es war wie ein starker, klebrig zäher Strick, der sich quer über die linke Hand zog; und als er sich bewegen wollte, fand er, daß seine Beine schon von demselben Zeug eingeschnürt waren. So war er noch nicht ganz aufgesprungen und lag schon auf der Nase.

In diesem Augenblick kam die Riesenspinne, die, während er vor sich hin duselte, ihn geschäftig eingewoben hatte, von hinten heran und warf sich auf ihn. Bilbo konnte nur ihre Augen sehen, aber er fühlte ihre haarigen Beine, die sich damit abrackerten, die entsetzlichen Fäden um ihn herumzuwickeln. Welch ein Glück, daß er noch rechtzeitig zu Verstand gekommen war! Bald hätte er sich überhaupt nicht mehr rühren können. Er mußte, wie die Dinge standen, verzweifelt kampfen, bevor er frei wurde. Er schlug das Tier zuerst einmal mit den Fäusten ab, denn es versuchte, ihn zu vergiften, damit er stillhielt (wie es die kleinen Spinnen mit Fliegen machen). Aber dann erinnerte Bilbo sich an sein Schwert, und er riß es aus der Scheide. Die Spinne sprang zurück, und er fand Zeit, seine Beine zu befreien. Danach war die Reihe an ihm, anzugreifen. Die Spinne war augenscheinlich nicht mit Wesen vertraut, die solch einen Stachel an der Seite trugen, sonst würde sie rascher zurückgesprungen sein. Bilbo kam ihr zuvor, ehe sie ausweichen konnte, und er traf sie mit seinem Schwert mitten zwischen die Augen. Da wurde sie irre und sprang und tanzte und warf ihre Beine in schrecklichen Zuckungen, bis Bilbo sie mit einem zweiten Streich tötete. Doch dann stürzte Bilbo selbst vornüber und erinnerte sich für eine lange Weile an nichts mehr. - J.R.R. Tolkien, Der kleine Hobbit. München 1974 (dtv 7151, zuerst 1937)

Stachel (4) Jeder Befehl besteht aus einem Antrieb und einem Stachel. Der Antrieb zwingt den Empfänger zur Ausführung, und zwar so, wie es dem Inhalt des Befehls gemäß ist. Der Stachel bleibt in dem zurück, der den Befehl ausführt. Wenn Befehle normal funktionieren, so wie man es von ihnen erwartet, ist vom Stachel nichts zu sehen. Er ist geheim, man vermutet ihn nicht; vielleicht äußert er sich, kaum bemerkt, in einem leisen Widerstand, bevor dem Befehle gehorcht wird.

Aber der Stachel senkt sich tief in den Menschen, der einen Befehl ausgeführt hat, und bleibt dort unverändert liegen. Es gibt unter allen seelischen Gebilden nichts, das weniger veränderlich wäre. Der Inhalt des Befehls bleibt im Stachel erhalten; seine Kraft, seine Tragweite, seine Begrenzung, alles ist für immer vorgebildet worden, in dem Augenblick, da der Befehl erteilt wird. Es kann Jahre und Jahrzehnte dauern, bis jener versenkte und gespeicherte Teil des Befehls, im kleinen sein genaues Ebenbild, wieder zum Vorschein kommt. Aber es ist wichtig zu wissen, daß kein Befehl je verlorengeht; nie ist es mit seiner Ausführung wirklich um ihn geschehen, er wird für immer gespeichert.

Die Befehlsempfänger, denen am gründlichsten mitgespielt wird, sind Kinder. Daß sie unter der Last von Befehlen nicht zusammenbrechen, daß sie das Treiben ihrer Erzieher überleben, erscheint wie ein Wunder. Daß sie es alles, nicht weniger grausam als jene, später an ihre eigenen Kinder weitergeben, ist so natürlich wie Beißen und Sprechen. Aber was einen immer überraschen wird, ist die Unverlctztheit, mit der sich Befehle aus der frühesten Kindheit erhalten haben: sie sind zur Stelle, sobald die nächste Generation ihre Opfer vorschickt. An keinem Befehl ist ein Jota anders geworden; sie könnten vor einer Stunde erteilt worden sein, und doch ist es in Wirklichkeit zwanzig, dreißig oder noch mehr Jahre her. Die Kraft, mit der das Kind Befehle empfängt, die Zähigkeit und Treue, mit der es sie bewahrt, ist nicht ein individuelles Verdienst. Intelligenz oder besondere Begabung haben damit nichts zu schaffen. Jedes, auch das gewöhnlichste Kind, verliert und vergibt keinen der Befehle, mit denen es mißhandelt wurde. - (cane)

Stachel (5) Die Natur hat den Bienen den Stachel am Bauche befestigt. Einige glauben, daß sie nach einem Stiche, den sie damit gemacht haben, sogleich stürben; andere sind der Meinung, der Tod erfolge nur dann, wenn sie so stark gestochen hätten, daß ein Teil ihrer Eingeweide mit herauskäme, aber dann würden sie Drohnen, könnten keinen Honig mehr bereiten und hörten, gleichsam ihrer Kräfte beraubt, auf zu schaden und zu nützen. Man hat Beispiele, daß sie Pferde totgestochen haben.  - (pli)

Schmerz Spitz Pflanze Igel Stechen

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