Sprachverschiebung   In den letzten Jahren hatte sich eine erstaunliche Sprachverschiebung im Haus durchgesetzt, und niemandem ist es aufgefallen, zumindest hat es niemand kommentiert oder gar in Frage gestellt. Wenn früher gesagt wurde: »ein Problem lösen«, so hieß das jetzt: »das Problem einer Lösung zufuhren«. Wenn gesagt worden war: »eine Entscheidung treffen«, so wird jetzt gesagt: »eine Entscheidung herbeiführen«. Statt »etwas zu analysieren«, muss-te es jetzt »einer Analyse unterzogen werden«. Wenn es geheißen hatte, dass »Vorkehrungen getroffen werden«, so wurden jetzt »Vorkehrungen auf den Weg gebracht«. Man könnte ein ganzes Lexikon der neuen »Comitology-Language« anlegen, und es war erstaunlich, wie in diesem Babylon gewisse sprachliche Tendenzen sofort Allgemeingut in allen Sprachen wurden. George Morland war sensibel genug, dies zu bemerken. Er war kein Semiotiker, kein Hermeneutiker, kein Sprachwissenschaftler, aber er hatte doch das deutliche Gefühl, dass diese Entwicklung ein Zeichen war, eine Bedeutung hatte, die symptomatisch für den Zustand der Kommission war, für ihre Hilflosigkeit, ihre Erstarrung. »Etwas auf den Weg bringen« war doch eindeutig etwas anderes, etwas Defensiveres als »etwas tun«. Diese Formulierungen verrieten, dass es nicht mehr um ein Ziel ging, sondern nur noch um den Weg. So ungefähr sah er das. Aber er akzeptierte es nicht. Er beharrte auf dem guten alten »ein Problem lösen«, und in diesem Fall hieß das ohne Umschweife: Kill the project, kill Mrs Atkinson.  - Robert Menasse, Die Hauptstadt. Berlin 2017
 

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