Sprache, göttliche   Viele Jahre verbrachte ich damit, die Anordnung und Zusammenstellung des gefleckten Musters zu erlernen, jeder blinde Tag gewährte mir einen lichten Augenblick; so konnte ich meinem Geist die schwarzen Formen einprägen, die das gelbe Fell fleckten. Einige schlossen sich um einen Punkt, andere bildeten Querstreifen auf der Innenseite der Beine; andere, ringförmige, kehrten wieder. Vielleicht waren sie ein gleicher Laut oder ein gleiches Wort. Viele hatten rote Säume.

Von der Mühsal meiner Arbeit will ich nicht sprechen. Mehr als einmal schrie ich in die Wölbung hinauf, es sei unmöglich, diesen Text zu entziffern. Nach und nach beunruhigte mich das faßbare Rätsel, das mir zu schaffen machte, weniger als die Rätselnatur eines von einem Gott geschriebenen Satzes. Welche Art Satz (fragte ich mich) würde ein absoluter Geist formen? Ich bedachte, daß es auch in den menschlichen Sprachen nichts gibt, was nicht das gesamte Universum zur Voraussetzung hätte; sagt man »der Tiger«, so sagt man zugleich die Tiger, die ihn zeugten, die Rehe und Schildkröten, die er verschlang, die Weide, von der die Rehe sich nährten, die Erde, deren Mutterschoß die Weide hervorbrachte, der Himmel, der der Erde Licht spendete. Ich bedachte, daß in der Sprache eines Gottes jedes Wort diese unendliche Verkettung von Tatsachen verkünden würde, und zwar nicht implizit, sondern explizit, nicht fortschreitend, sondern unmittelbar. Mit der Zeit dünkte mich der Begriff eines göttlichen Satzes kindisch oder lästerlich. Ein Gott, grübelte ich, braucht nur ein Wort zu sagen und in diesem Wort die ganze Fülle. Kein von ihm artikulierter Laut kann dem Weltall unterlegen sein oder geringer sein als die Summe der Zeit. Schatten oder Trugbilder dieses Lauts, der soviel ist wie eine Sprache und was eine Sprache in sich bergen kann, sind die hochfliegenden und erbärmlichen menschlichen Wörter: »alles, Welt, Universum«.   - Jorge Luis Borges, Die Inschrift des Gottes. Nach (bo3)

Sprache, göttliche (2)  Der Vater sprach über Gott. Er wollte wissen, ob Gott eine Sprache hat. Fragen Sie mich nicht, was das bedeuten soll. Ich erzähle es Ihnen nur, weil ich die Wörter kenne. Der Vater dachte, ein Kind könnte sie sprechen, wenn das Kind keine Menschen sah. Aber was für ein Kind gab es da? Ah. Jetzt fangen Sie an zu verstehen. Man brauchte nicht erst eins zu kaufen. Natürlich kannte Peter schon einige Menschenwörter. Dagegen war nichts zu machen. Aber der Vater dachte, vielleicht vergißt Peter sie. Nach einer Weile. Deshalb gab es so viel Klatsch, Klatsch, Klatsch. Jedesmal, wenn Peter ein Wort sagte, gab ihm sein Vater ein Klatsch. Zuletzt lernte Peter, nichts zu sagen. Jajaja. Danke.

Peter behielt die Wörter in seinem Innern. All diese Tage und Monate und Jahre. Dort in der Dunkelheit, der kleine Peter ganz allein, und die Wörter lärmten in seinem Kopf und leisteten ihm Gesellschaft. Deshalb arbeitet sein Mund nicht richtig. Armer Peter. Huhu! So sind seine Tränen. Der kleine Junge, der nie erwachsen werden kann.

Peter kann jetzt wie Menschen sprechen, aber er hat noch die anderen Wörter in seinem Kopf. Sie sind Gottes Sprache, und niemand sonst kann sie sprechen. Sie können nicht übersetzt werden. Deshalb lebt Peter so nahe bei Gott. Deshalb ist er ein berühmter Dichter.

Alles ist jetzt so gut für mich. Ich kann tun, was ich will. Jederzeit, überall. Ich habe sogar eine Frau. Sie können es sehen. Ich habe sie schon erwähnt. Vielleicht haben Sie sie sogar kennengelernt. Sie ist schön, nicht wahr ? Ihr Name ist Virginia. Das ist nicht ihr richtiger Name. Aber das spielt keine Rolle. Für mich.

Sooft ich darum bitte, besorgt mir meine Frau ein Mädchen. Es sind Huren. Ich stecke meinen Wurm in sie hinein, und sie stöhnen. Es waren schon so viele da. Haha. Sie kommen hier herauf, und ich ficke sie. Es tut gut zu ficken. Virginia gibt ihnen Geld, und alle sind zufrieden. Darauf können Sie Gift nehmen. Haha.

Arme Virginia. Sie mag nicht ficken. Das heißt, mit mir. Vielleicht fickt sie mit einem anderen. Wer kann das sagen? Ich weiß nichts davon. Es ist egal. Aber wenn Sie nett zu Virginia sind, dürfen Sie sie vielleicht ficken. Das würde mich glücklich machen. Ihretwegen. Danke.

Also. Es gibt so viele Dinge. Ich versuche, sie Ihnen zu erzählen. Ich weiß, daß nicht alles richtig ist in meinem Kopf. Und das ist wahr, ja, und ich sage aus meinem eigenen freien Willen, daß ich manchmal einfach schreie und schreie. Aus keinem guten Grund. Als ob es einen Grund geben müßte. Aber aus keinem, den ich sehen kann. Oder sonst jemand. Nein. Und dann gibt es die Zeiten, in denen ich nichts sage. Tagelang ununterbrochen. Nichts, nichts, nichts. Ich vergesse, wie ich die Wörter aus meinem Mund kommen lassen soll. Dann fällt es mir schwer, mich zu bewegen. Ja, ja. Oder auch nur zu sehen. Dann werde ich Mr. Traurig.

Ich bin immer noch gern im Dunkeln. Wenigstens manchmal. Es tut mir gut, glaube ich. Im Dunkeln spreche ich. Gottes Sprache, und niemand kann mich hören. - Paul Auster, Die Stadt aus Glas. in: P. A., Die New-York-Trilogie. Reinbek bei Hamburg 1991
 

 

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