pazierstockladen Es
ist ein ehrbarer Stockhändler, der einer schwierigen Kundschaft eine große
Auswahl verschiedener prächtiger Artikel bietet, die er derart zusammengestellt
hat, daß man ihren Wert für Körper und Hand mit einen Blick abschätzen
kann. Eine ganze Raumkunst ist hier entfaltet: die billigen Stöcke sind
zu Fächern angeordnet, die teuren, zum X gekreuzt, neigen den Blicken mit
dem unnachahmlichen Reiz pflanzenhafter Bewegung ihren Flor von Knäufen
entgegen: Rosen aus Elfenbein, Hundeköpfe mit Edelsteinaugen, damasziertes
Halbdunkel aus Toledo, mit Niello ausgelegte hübsche kleine Blattverzierungen,
Katzen, Frauen, Krummschnäbel: unzählige Materialien, angefangen mit gebogenem
Rohr über den rotblonden Zauber des Karneols bis hin zu Rhinozeroshorn.
Einige Tage nach der Unterhaltung mit dem Portier, als ich einen
ganzen Abend lang im Petit Grillon auf jemanden wartete, der es nicht für
gut befunden hatte, mich zu treffen, und ich meine befremdliche alleinige
Anwesenheit dort von Viertelstunde zu Viertelstunde mit der Bestellung
eines weiteren Drinks rechtfertigte, der meine Erfindungskraft jedesmal
mehr erschöpfte, ging ich, nachdem ich über die Maßen lange in diesem Zustand
der Erwartung und der Nervosität verharrt hatte, auf die Passage hinaus,
obgleich sie schon völlig ausgestorben war. Wie groß war meine Überraschung,
als ich, angelockt von einem mechanischen, monotonen Geräusch, das aus
dem Schaufenster des Stockhändlers zu kommen schien, sah, daß dieses in
einem grünlichen, irgendwie submarinen Licht badete, dessen Quelle unsichtbar
blieb. Es hatte etwasvomPhosphoreszieren der Fische, wie ich es am Pier
von Port-Bau im Cotentin habe feststellen können, als ich noch ein Kind
war. Doch obgleich ich mir sagte, daß schließlich auch Stöcke die Leuchteigenschaften
der Meeresbewohner haben könnten, schien es keine physikalische Erklärung
für diese übernatürliche Helle zu geben und schon gar nicht für das Geräusch,
das dumpf das Gewölbe erfüllte. Ich erkannte letzteres wieder: es war jenes
Rauschen der Muscheln, das immer noch das Erstaunen der Dichter und der
Filmstars erregt. Das ganze Meer in der Passage de l'Opéra! Die Stocke
wiegten sich sanft wie Seegras. Ich war noch ganz im Banne dieses Zaubers,
als ich bemerkte, daß eine schwimmende Gestalt zwischen die verschiedenen
Reihen der Auslage schlüpfte. Sie hatte nicht ganz die Normalgröße einer
Frau, machte mir aber auch nicht den Eindruck einer Zwergin. Daß sie so
klein war, schien wohl an der Entfernung zu liegen, obgleich sich die Erscheinung
direkt hinter der Scheibe bewegte. Ihr Haar war aufgelöst und zuweilen
klammerte sie sich mit den Fingern an die Stöcke. Ich glaubte, es im wahrsten
Sinne des Wortes mit einer Sirene zutun zu haben,
denn mir schien, daß diese bezaubernde Erscheinung, die nackt war bis zum
Gürtel, den sie übrigens recht tief trug, nach unten hin in ein metallisches
oder schuppiges oder vielleicht rosenblättriges Kleid zulief, doch als
ich meine Aufmerksamkeit auf das Gewoge konzentrierte, das sie in die zebragestreifte
Atmosphäre trug, erkannte ich diese Person trotz ihrer verhärmten Züge
und ihres verstörten Ausdrucks plötzlich wieder. In der dubiösen Zeit der
schimpflichen Besetzung des Rheinlandes und der Wonnen der Prostitution
war ich am Ufer der Saar der Lisel begegnet, die sich gesträubt hatte,
den Ihren auf dem Weg ins Elend zu folgen, und die in der Sophienstraße
ganze Nächte hindurch Lieder sang, die ihr Vater, ein rheinischer Jägermeister,
sie gelehrt hatte. Was mochte sie hier zwischen den Stöcken wohl zu tun
haben? Sie sang immer noch, nach der Bewegung ihrer Lippen zu schließen,
denn das Getöse in der Auslage übertönte ihre Stimme, die Wogen rollten
über sie hinweg und schlugen hoch bis zur Spiegeldecke, über der weder
der Mond noch das drohende Dunkel der Klippen zu sehen war: »Das Ideal!«
rief ich aus; in meiner Verwirrung fiel mir nichts Besseres ein. Die Sirene
sah mich erschreckt an und streckte die Arme nach mir aus. Da befiel die
Auslage ein allgemeiner Veitstanz. Die Stöcke drehten sich um neunzig Grad
nach vorne, so daß die obere Hälfte des X der Scheibe sein V entgegenspreizte,
wodurch vor der Erscheinung der Fächervorhang aus den billigen Stöcken
dichter wurde. Es war, als wäre einem der Anblick des Schauspiels einer
Schlacht durch Spieße jäh verwehrt worden. Mit dem Rauschen des Meeres
erstarb auch die Helle. - (ara)
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