palte
Zehnter ORT ist das GESCHLECHT der Frau, cunnus, die Spalte im Raum; aber
dermaßen ganz und ausschließlich Spalte, daß sie keine Spur von Grenze aufweist;
sie ist also eine Öffnung, und ihr entsteigt immerfort Geborenes, in der Folge
lauter zweite ORTE: eine große, im Winde flatternde Fahne, Tintenfässer, Guillotinen,
ein Nagel ohne Finger, zahllose Schatten ohne Dinge,
die Schatten werfen, eine tote Schlange, frostiger Frost. Dieses unsichtbare
und konkrete, unbenutzbare und fleischliche Geschlecht scheint von nichts geschwängert
zu werden; es ist kein Samen bekannt, der sich am Platz
eines zweiten ORTES befände; es befindet sich wahrscheinlich im Inneren der
abstrakten weiblichen Öffnung eine Gebärmutter, die durch eigenen Zeugungswillen
zeugt; oder vielleicht wird der Eierstock vom Willen der ZENTREN
beherrscht oder von der Glut der FEUER geschwängert; und daraus läßt sich
fast sicher schließen, daß die Krankheit der FEUER eine
Geschlechtskrankheit ist, die sie sich durch den Verkehr mit der trügerischen
Vagina zuziehen. Denn es heißt, sie sei infiziert; aber nicht durch unpassenden
Verkehr, sondern von ihrem eigenen, sich selbst grollenden Wesen, da sie fruchtbar
ist, ohne von irgend etwas befruchtet zu werden; also geht ihrem immerwährenden
Gebären kein Gespräch voraus.
- Giorgio Manganelli, System. In: (
irrt
)
Spalte (2) — — in weiter Ferne aus
der Erden ein schwarzer Rauch emporstieg, flach wie ein Brett, und wurde immer
breiter, bis er als tiefdunkel Dreieck mit der Spitze nach abwärts am Himmel
stand, barst, und ein glutroter Spalt klaffte von oben
bis unten, darinnen eine ungeheure Spindel sich drehte mit rasender Schnelle
— — — ich zuletzt die schreckliche schwarze Mutter Isaïs sah mit
ihren tausend Händen Menschenfleisch weben am Spinnrocken — — — aus dem Spalt
Blut herab sickerte — — — etzliche Tropfen, abspritzend von der Erden, mich
trafen, so daß mein Leib gesprenkelt ward, wie eines von der roten Pest Befallenen,
was wohl die geheimnisvolle Bluttaufe gewesen ist — — — — worauf der Namensruf
der Großen Mutter wahrscheinlich ihr Töchterlein, das bis dahin schlummernd
in mir gelegen als ein Samenkorn, auferweckt hat, womit ich durchgedrungen bin
zum Ewigen Leben und immerdar verbunden mit ihr zu zwiefachem Sein. — — Ich
habe auch bis damals nie die Brunst der Menschen gekannt, bin aber seitdem auf
ewig dagegen gefeit, denn wie könnte von dem Fluch Einer ergriffen werden, der
sein eigen weiblich Teil gefunden hat und in sich trägt! - Gustav Meyrink, Der Engel vom westlichen Fenster.
München 1984 (zuerst 1927)
Spalte (3) "So geht's",
sagte mein Vater, „im ganzen Bereich der Wissenschaften. Die großen, allgemein
anerkannten Sätze derselben werden nicht angetastet. Die Gesetze der Natur beschützen
sich immer selbst, der Irrtum aber", pflegte er
fortzufahren und dabei meine Mutter sehr ernst anzusehn,
„der Irrtum, Sir, schleicht sich ein durch die engen Schlitze
und kleinen Spalten, welche die menschliche Natur unbewacht läßt." - (
shan
)
Spalte (4) Eines Tages sagte jemand vor dem König: »Der Gelehrte ist der beste Mann.« Der Kanzler erwiderte: »Auch der Gelehrte ist ein Tor, der das Getriebe der Welt nicht kennt.«
Um zu prüfen, wer von beiden im Rechte war, ließ der König seine vier Söhnchen - schöne, holde und liebenswerte Knaben - in einem unterirdischen Gemach unterrichten. Ein Gelehrter unterwies sie in Grammatik, in Logik, in Astrologie und in Medizin, und als sie ihre Studien beendet hatten, übergab er sie wieder dem König. Reich beschenkt entließ dieser den Brahmanen und entbot alle vier nunmehr zwanzigjährigen Prinzen vor sich. Sie mußten sich in ihres Vaters Nähe setzen, und wenn er eine Frage an sie richtete, so gaben ihm die wohlunterrichteten Jünglinge stets ihre Antworten in den wundervollsten Sätzen.
Da fragte der König seinen Kanzler: »Was hältst du von der Gelehrsamkeit meiner Söhne?« — »Gelehrte Toren!« - erwiderte der Kanzler. »Weshalb Toren?« - fragte der Fürst, und sein Minister entgegnete: »Sie wissen nichts vom Handel und Wandel der Welt, und ihre Weisheit ist Papageien-Weisheit.«
Um dies dem König vor Augen zu führen, lud der Kanzler ihn samt seinen Söhnen ehrfuchtsvoll in sein Haus zur Tafel. Er ließ ihnen fünf Gänge gekochter Speise und eine Zimmetäpfelpastete auftragen. Da sahen die Prinzen die Pastetenkruste und sagten zueinander: »Was ist das für ein Ding? Es hat allerlei Spalten und vier Ecken - wir kennen es nicht. Wie heißt das Ding, das da steht? Nehmt euch in acht!« So sprachen sie, sprangen auf und riefen laut das Wort:
»Zeigt irgendwo sich nur ein einz'ger Spalt,
Da
nimmt der Weise keinen Aufenthalt.
Durch Spalten dringt das Unglück mächtig
ein:
Flieh solchen Ort, wenn du willst sicher sein!«
- Indische Märchen. Hg. und Übs. Johannes Hertel. München 1953 (Diederichs, Märchen der
Weltliteratur)
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