palt
Der Krabla, der träge, bekam Beine. Sein Steinmantel überrieselte
schon den schmutzigen Jakutse, der von dem Askjagletscher abschmolz
und heranfioß. Die Steine und Laven, die schwarzen porösen Auswürflinge
tanzten noch eben über die Wasserfläche, wühlten die sprühende
Fläche auf, und schon hatten sie den Fluß in Kilometerbreite
überlaufen, ihn bedeckt, schon wulsteten die Steinmassen aus
dem Flutendrang empor, War der Fluß verschüttet, verbarrikadiert,
vom Meer abgeschnitten. Im Norden und Westen umging der Steinschleier
die Bergwände. Westlich des Krabla rauchten die Wände des Leirhukr.
Die Löcher in den alten Schuttfeldern stopfte der Steinregen
aus, drückte und trümmerte nieder die mannshohen Tuffhöhlen.
Da knickte die Spitze des Krabla, stürzte ab. Keinen Laut hörte man davon unter dem gleichmäßigen Brüllen und Rollen der sich dehnenden Berge. Und zugleich erlosch der steile Feuerstrahl des Krabla. Schwarzer Qualm wirbelte an seiner Stelle, der sich heftiger und heftiger ballte, in rauschenden Stößen hochschnellte, meilenhoch den erstickten Krabla überlagerte. Da waren zugleich die Wände des Vulkans, die wachsenden, immer höher sich hebenden, von neuem abstürzenden, hinter den Steinschleiern schattenschwarz in ein Wiegen und Rollen gekommen, wie ein Laken, an das der Wind schlägt. Diese Berge wandernd waren keine Berge mehr. Wuchsen in die Höhe, rückten in das Land, über die splitternden Lavafelder, an die Ufer des Myvatn. Dampften und flammten. Flämmchen, bläulich und grün, erschienen zauberhaft verstreut auf ihnen. Das blitzte wie Bergmannslampen auf, erlosch, blitzte wieder. Darunter wogte rollte die Wand des Vulkans, des wolkenhohen Riesenschiffs, das in das schwarze Land einbrach. Häufiger, massenhaft, während die Berge sich dehnten, züngelten die Flämmchen; oben neigte sich von neuem die aufgetriebene aufgetürmte Bergmasse, stürzte in den Krater, den qualmbrodelnden, lautlos ab.
Urplötzlich mischte sich in das ungeheure Dröhnen und Murren ein tiefurtiefes abgrundtiefes bodenentstandenes Schnauben Hauchen. Ein Schmauchen Blasen wie aus einem Kessel. Langsam ließ es nach, lähmend schwoll es an. Dabei flammten ununterbrochen die grünblauen Lichter auf den schreitenden Bergwänden. Gelbe Flammen brachen zwischen den grünen hervor, zuckten stachen geradeaus, drehten sich um sich selbst. Ungeheuer schwarz wirbelte der Rauch über den verschütteten Vulkanen.
Da Riß Schlag Schlag Knall.
Zerschleudert die Bergmasse, zerstäubt Krabla und Leirhukr.
Glühendes erdweites Auflohen, feuriges Anblaffen des Himmels.
Fliegende Basalt- und Granitblöcke, auf- und abschießende Lavabomben. Unter Tosen Absinken der Bergmassen.
Es war niemand mehr von den Menschen in der Nähe. Die Züge
zurückgerasselt, die Brücken abgeschwenkt. Der Krabla und Leirhukr
waren noch eben zwei Vulkane; der Erdboden zwischen ihnen war
verschwunden. Ein Feuersee lag zutage. Ein Spalt war in der Erdhaut.
Der Feuersee lief in den Myvatn, ihn auszudörren, Aus dem Riß
der Erde ergossen sich Glutströme, geschmolzenes Gestein aus
dem Erdinnern, dazu der brennende Leib der zerrissenen Vulkane.
Brüllend nahmen die Flammenströme ihren Weg ins Land. Im Süden
standen noch schwankende angestrahlte Wände der Vulkane, zerklüftet
verstümmelt. Sie bröckelten stürzten über, legten sich in das
heiße saugende Bett. Nach Süden überrannte der Feuerstrom das
Land bis zum Fuß des mächtigen Blafijal. In den schwarzen Myvatn
wälzte sich der Feuerstrom; drang in das Wasser bis auf die Tiefe
des Sees, die er entlang kroch, ohne zu erlöschen. Das Wasser
faßte er mit seinen Zähnen an, verschluckte
es. Es siedete und verdampfte auf seinem Rücken. Er sprang am
Boden des Sees herum. Zerschleuderte zerfaserte zerpaffte sengte,
was ihm in den Weg kam. Blutrot sein langer Schlangenleib.
- (gig)
Spalt (2) Nie wird die Stirn eines Boxers (wie auch immer die Fairneß seines Kampfes und die formale Schönheit seiner Gebärden sein mögen) statt mit den akademischen Lorbeeren mit einem brausenden Nimbus gekrönt werden; nie wird ein Wettschwimmer (so innig er mit der Welt verbunden sei, die in der ihn tragenden Welle zusammenfließt, so drohend die Gefahr, der er mit seinem Können entweicht) dem entscheidenden Punkt so nahe kommen wie es der Torero, der Dichter oder der Liebhaber tun, deren gesamte Aktivität auf dem winzigen, aber tragischen Spalt gründet, der das preisgibt, was in unserer Conditio unvollendet (wörtlich: unendlich) ist. Allein der Akrobat - und in besonderer Weise der Seilkünstler, der sich im Schöße der Leere selbst bewegt und dessen Körper gleichsam von der Umwelt abstrahiert zu sein scheint, oder wenigstens nur durch einen hauchdünnen Faden mit ihr verbunden ist, - ruft manchmal diesen sakralen Taumel hervor, insofern seine Arbeit ein Nacheinander übermenschlichen Reüssierens darstellt, dem eine genau so lange Reihe von lebensgefährlichen Herausforderungen parallel läuft.
Diesem Spalt kommt letztlich eine eigentlich religiöse Konnotation zu, Sinnbild
einer Verletzung, eines Mangels, Achillesferse oder Sehschlitz des Harnischs,
elende Schrunde, die der nackten Haut, indem sie ihre volle Realität aufdeckt,
eine Weihe verleiht. - Michel Leiris, Spiegel der Tauromachie, eingeleitet durch Tauromachien. Mit
Zeichnungen von André Masson. München 1982 (entstanden 1937)
Spalt (3) Ich wußte, daß ich noch den vier Fuß breiten Spalt überqueren mußte, war aber zu sehr von anderen Ängsten gepeinigt, um mir dieses Schreckens voll bewußt zu werden - bis ich fast davor stand. Beim Abstieg war der Sprung über den Spalt leicht gewesen - aber konnte ich ihn jetzt ebenso leicht überwinden, da ich aufwärts springen mußte und außerdem durch das Gewicht des Metallbehälters, durch meine Furcht, meine Erschöpfung und das widernatürliche Zerren des dämonischen Windes behindert war? An all diese Dinge dachte ich erst im letzten Moment, und ich dachte auch an die namenlosen Wesen, die in den schwarzen Tiefen unter dem Spalt lauern konnten.
Meine Taschenlampe begann zu flackern, doch irgendeine dunkle Erinnerung sagte mir, daß ich mich dem Spalt näherte. Die eisigen Windstöße und die ekelerregenden Pfeiftöne hinter mir wirkten einen Augenblick lang fast wie ein barmherziges Beruhigungsmittel, das meine Sinne für die Schrecken des vor mir klaffenden Spalts betäubte. Und dann bemerkte ich die zusätzlichen Windstöße und Pfeiftöne, die von vorne kamen - Wellen des Abscheus, die durch eben diesen Spalt aus nie erahnten und nie zu erahnenden Tiefen heraufdrangen.
Jetzt fürwahr packte mich nacktes Entsetzen. Jegliche Vernunft verließ mich
- und ohne irgend etwas anderes zu beachten als den animalischen Trieb zur Flucht,
stürmte und kletterte ich über die Trümmer des Abhangs nach oben, als gebe es
den Spalt überhaupt nicht. Dann sah ich den Rand der Kluft, sprang mit aller
Kraft - und versank augenblicklich in einem pandämonischen Strudel widerwärtigster
Geräusche und äußerster, physisch spürbarer Finsternis. - H. P. Lovecraft, Der Schatten aus der Zeit.
In: H. P. L., Das Ding auf der Schwelle. Frankfurt am Main 1976 (st 357)
Spalt (4) »Setz dich auf die Fensterbank«, sagt der Vater zu mir, »rühr dich nicht. Der Tag neigt sich. Die Uhren warten auf ihren Schlaf.«
Eilends verschließt der Gehilfe die Folianten in einen Schrank. Ich sehe
meinen Vater die Tür zum Laden verriegeln und in den Hintergrund laufen. Der
Gehilfe flieht ihm nach. Ich sehe sie über eine enge Wendeltreppe aufwärts entschwinden.
Das letzte, was ich von ihnen sehe, sind die Füße des Gehilfen. Da hebt das
dumpfe Getön wieder an, mahnender als vorher, fast unheilvoll. Der Silberton
der Standuhren wird erstickt; die Flöten, kaum, daß sie angesetzt haben, ersterben;
das Tiergeschrei vergeht mit einem kurzen Angstgebrüll, das Pergamentfell der
Trommeln platzt. Aus der Tiefe dringt wie ein Erdbeben das erzene Brummen einer
Kirchenglocke. Das große Regal vor mir beginnt sich zu bewegen. Geschmeidig,
wie wenn es ein Segel vorm Winde wäre, entweicht es nach rückwärts. Der Schrank,
in den der Gehilfe die Folianten verschlossen hatte, versinkt. Jetzt saugt
die Wand auch das große Regal auf. Die Standuhren wenden
ihr Zeigergesicht ab und verkriechen sich in einen bereitstehenden Schatten.
Der Raum wird leer. Noch steht mein Herz nicht still; aber ich vermag mich nicht
mehr zu rühren. Da fällt es, wie Staub erst, dann mit deutlicher Gestalt von
den Wänden, der Boden öffnet sich. Der Ton der Glocke kommt, ein Bündel zerbrochener
Blitze, aus dem Spalt, der anzuschauen ist wie eine dunkle Gruft,
von der die Deckelquader abgewälzt sind, daß die unheimliche Gestalt ruheloser
Toter emporsteigen könne. Und es bewegt sich dort unten.
Es bewegt sich an den Wänden. Geräusche, ein leises Knacken; eine Empore schiebt
sich vor. - (
jah
)
Spalt (5) Morand kannte die Vorliebe
Somozas für bestimmte ausgefallene Literaturen viel zu gut, um über seine
Sehnsucht befremdet zu sein. Lediglich die fanatische Inbrunst dieser Hoffnung
überraschte ihn, jedesmal, wenn er die fast automatischen Geständnisse
hörte, bei denen er sich wie überflüssig vorkam, die Art, wie Somozas Hände
den kleinen Leib der ausdruckslos schönen Statue
wieder und wieder liebkosten, die eintönigen Beschwörungen,
die bis zum Überdruß die gleichen abgedroschenen Formeln für seinen Übergang
wiederholten. Aus der Sicht Morands war seine Besessenheit erklärlich:
jeder Archäologe identifizierte sich in gewissem
Sinne mit der Vergangenheit, die er erforscht und ans Licht bringt. Es
war daher nur ein kleiner Schritt bis zu dem Glauben, daß der intime Umgang
mit einer jener Spuren Zeit und Raum entfremden, verändern, einen Spalt
öffnen konnte, durch den man Zugang hatte zu ... Somoza benutzte dieses
Vokabular niemals; was er sagte, war stets mehr oder weniger als das, eine
Art Sprache, die aus unbeirrbaren Tiefen heraus anspielte und beschwor.
Schon damals hatte er deswegen die kleine Statue ungeschickt zu kopieren
begonnen; Morand gelang es, die erste Kopie zu sehen, bevor Somoza Paris
verließ, und er hörte mit gutmütiger Höflichkeit die hartnäckigen Gemeinplätze
über die Wiederholung der Gebärden und Stellungen an, die zur Aufhebung
führen, die Gewißheit Somozas, daß seine hartnäckige Annäherung
ihn dahin bringen werde, sich mit der ursprünglichen Struktur identisch
zu machen, deckungsgleich und mehr als das, weil es nicht mehr Dualität,
sondern Verschmelzung gäbe, uranfänglichen Kontakt
(das waren nicht seine Worte, aber Morand mußte sie irgendwie übersetzen,
als er sie, später, für Therese rekonstruierte). Ein Kontakt, der, wie Somoza
zuletzt sagte, vor achtundvierzig Stunden eingetreten war, in der Nacht
der Sommersonnenwende. -
Julio Cortázar, Die Nacht auf dem Rücken. Die Erzählungen Bd. 1. Frankfurt
am Main 1998
Spalt (6)
Die Fantasie ist die Kraft, die uns,
wir wissen nicht von wo, zukommt. Vielleicht ist sie eine vorhandene, aber unerkannte
Wahrheit, eine Ritze im Vorhang des Ungesehenen, das
manchmal so nahe auf uns eindringt. Sie bedeutet Leiden, aber auch die Vision,
und ist Licht nicht besser als Finsternis? Wer kennt ihr Ziel? Niemand; doch
mag es sein, daß diejenigen, die Fantasie haben, Toren sind, durch die die Kräfte
des Guten und des Bösen mit Macht auf die Welt eindringen: Instrumente, die
an ihrem Schicksal unschuldig sind. Denn es kommt mir mit dem Älterwerden so
vor, als sei der Geist jenen Rieseneisbergen ähnlich, die im arktischen Meer
treiben - sich auftürmende Massen glitzernden blaugrünen Eises, die dennoch
vier Fünftel ihrer Masse unter dem Wasser verbergen! Sie ist die verborgene
Macht des Geistes, die das Sichtbare mit dem Unsichtbaren verbindet, die die
kleine stumme Stimme hört, die aus der Unendlichkeit ruft. - H.
Rider Haggard, Nachwort zu: Henry Rider Haggard, Nada die Lilie. München 1980
(zuerst 1892)
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