Sonntagsstaat   Ein Kleines von wehmütigem Feiertag lag über dem Lager. Man war früh auf von den harten Betten wie sonst an Arbeitstagen. Aber aus den Holzkisten wurde der Sonntagsstaat genommen. Schlechtsitzende Anzüge. Aus dürftigen Stoffen, doch sauber gebürstet. Das ging nicht reche zu an der Brust. Schien für Lungenkranke mit eingefallenen Rippen bestimmt. Harte Brüste voller Haare, braune straffe Muskeln wurden fortgeengt. Weißes Hemd klitschte sich tief unter dem zottigen Hals, der fremd, schmutzig (wiewohl gewaschen), gelb, rissig, speckig, mit fetter Wamme, weibertoll, mit Unbehagen einen Kopf trug. Viele rasierten sich. Man sang, pfiff, saß auf den Betten. Erzählte. Die Hausfrau hatte Ehebruch begangen. Im fünften, sechsten, siebenten, achten, neunten Monat. Krank. Das elfte Kind. Man müßte zu weisen Frauen gehen, die es abtrieben. Die Wohnung eng. Hunger. Hier hatte man nicht gehungert. Man hatte gelebt (diese Formel). Die Frau hatte gelebt. Der Lohn war in der Stadt geblieben. Wenige Groschen nur vertrunken. Manche hatten gespart. Sie rechneten. Sie fanden, sie hatten es gut gehabt. Hinterher. Hätte einer zu greinen begonnen, Sie alle hätten gegreint. Sie hätten bleiben mögen. Es trieb sie alte Sucht. Nicht nur die vollendete Arbeit peitschte sie fort. An den letzten Abenden waren über den Betten die Zeichnungen entstanden. Einer hatte angefangen zu zeichnen. Dutzende waren Nachahmer geworden. Wie sie ein Weib bestiegen. Abbruchsplanken. Weib, wie es die Natur nicht bilden mochte, an zehn Körperteilen Geschlecht. Sie selbst wie die Hengste, Elefanten, Wale. Die Zeit war voll. Keine Wehmut konnte sie halten. Sie mußten in die Straßen. Zu Frauen. In Betten zu zweien.  - Hans Henny Jahnn, Perrudja. Frankfurt am Main 1966 (zuerst 1929)
 

Sonntagskleidung

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