onnenuntergang    Die Sonne hatte sich die Stiefel angelegt, um zu den Antipoden zu kutschieren, die sie wie betäubte Hühner schon erwarteten; und die Zikaden, durch ihr Scheiden verstummt, hatten ihr Geschäft den Grillen überlassen; da glich der Tag einem ruinierten Kaufmann, der nach einer Kirche ausschaut, um mit einem Satz hineinzuspringen. Und schon ließen sich Kauz und Eule blicken, die Papageien der Nacht, und zeigten sich ihr, die mit verbundenen Augen, wortlos, schwermütig, melancholisch und gedankenvoll einherkam, angetan mit einem. schwarzen Umhang, und mit dem Schritt einer Witwe, die um den vor Monatsfrist verschiedenen Gatten seufzt. Und das Gestirn, das die Astrologen zum Irrereden bringt, kam maskiert auf die Bühne mit einem Leintuch um den Leib; und die Sterne, die bei Sinnen und von Sinnen sind, in böser und in guter Gesellschaft, kamen feurig vergoldet aus der Hand des Goldschmiedmeisters Apollo ans Fenster: zuerst einer, dann zu zweien, zu dreien, zu vieren, dann fünfzig, hundert und tausend. .. -  Aretino, nach: Manganelli furioso. Handbuch für unnütze Leidenschaften. Berlin 1985

Sonnenuntergang (2) Du kommst in Versuchung, sie alle zu küssen, eine nach der anderen, auf den feuchten und heißen Mund, der im Kragen des feuchten und kalten Pelzes geborgen ist: feucht vom Atem und vom Nebel. Dieser Duft der Frau, des Tiers, des Parfüms. Dieser Duft des Winters.

Mögen sie glauben, daß sie ihrer Schönheit wegen geküßt werden. Illusion! Wir küssen sie, weil die melancholische Herrlichkeit dieses Sonnenuntergangs uns zärtlich stimmt.

Wie oft haben Frauen in unseren Armen mit klopfenden Herzen gebebt, während wir sie nur an uns preßten, um unsere Hände zu wärmen! - Pitigrilli, Der Hut auf dem Bett. In: P., Luxusweibchen. Reinbek bei Hamburg 1988  (rororo 12201, zuerst 1922)

Sonnenuntergang (3)  Nach und nach kam der Sonnenuntergang, aber einen solchen Sonnenuntergang hatten Cevenini und Ridolfi noch nie gesehen. Am Horizont tauchten schöne rosa- und malven-farbene Wolkenstreifen auf und ein Licht, daß es eine Lust war hinzusehen, und jenseits der Gartenmauer eine Ruhe, wie sich die zwei Freunde nicht erinnern konnten, je empfunden zu haben. Hier gab es nur Steine und Sand und Gebüsche und grasende Schafe und Ziegen; die große Stille der weggeworfenen Dinge. - Gianni Celati, Cevenini und Ridolfi. In: G. C., Cinema naturale. Berlin 2001

Sonnenuntergang (4)  Wenig auf der Welt ist erholsamer und. aufreizender als ein Sonnenuntergang in den Tropen; und Goa tat sein Bestes, um ein erprobtes Produkt zu liefern. Es ist die Via Condotti der tropischen Sonnenuntergänge. Eingangs Wolken hoch oben in nobler, abstrakter Manier, während der Himmel dunkler zu werden beginnt; dann leichtfertigere Wölkchen wie Kissen, Polster, Matratzen, Negligées; und am Ufer dehnen sich die Palmwedel als Strumpfbänder, Plumeau und Schönheitspflaster; und die Wellen klimpern dazu auf dem Gravicembalo. Wenn dann die Nacht den Himmel versiegelt, hat man den Eindruck, einem zweideutigen Schauspiel beigewohnt zu haben.  - Giorgio Manganelli, Das indische Experiment. Berlin 2004 (zuerst 1992)

Sonnenuntergang (5)  «Alte Fotze! Du hast mich da reingezogen, und ich bin dein Beschützer. Ohne mich hätten sie dich schon an irgendeiner Ecke aufgeschlitzt. »

«Du kannst ja nicht mal dich selbst beschützen.»

«Du bettelst richtig um Schläge!»

«Los, schlag mich, schlag mich doch, wenn du dich traust!»

«Ich schlag dichjetzt! Eh?»

Es war eine Warnung oder auch eine Bitte um Erlaubnis. Jedesmal, wenn er sie schlug, hatte sie das Gefühl, das Bewußtsein ihrer selbst wiederzufinden, je mehr ihr Haß und ihre Hilflosigkeit zunahmen. Vor ein paar Wochen war er ohnmächtig geworden, nachdem er sich erbrochen hatte, und sie war seltsam fröhlich geworden, so sehr, daß sie beschlossen hatte, die ganzen Schläge der letzten Zeit loszuwerden. Sie hatte ihren Schuh ausgezogen und auf diesen am Boden liegenden Körper eingedroschen, aus dem nur ein erstauntes Stöhnen kam, bis sie entsetzt Blut gesehen und es vorgezogen hatte, damit Flüsse auf die dunkle Haut des nackten Mannes zu zeichnen, Flüsse, Zuflüsse, esoterische Skizzen, mit der Zeigefingerkuppe gezeichnet, der die Quelle des Blutes suchte, um ihm einen Lauf und ein Ziel zu geben.

«Gib mir einen Schuß, oder ich knall dir eine!»

Es knallte.

«Nimm dir doch deinen Schuß und fix ihn dir, du Waschlappen! Aber wir sind fertig miteinander. Sobald ich draußen bin, ruf ich deinen Vater an und sag ihm, er soll dich abholen und auf die große Farm bringen, zum Schweineputzen!»   - Manuel Vázquez Montalbán, Schuß aus dem Hinterhalt. Reinbek bei Hamburg 1990

Sonnenuntergang (4)   der Staat will, daß du in deinem Haus deinen Rausch hast / den Rausch zu seiner Zeit / zwar unweit des Meeres / aber das Meer war da / es war zwar weit weg / aber es war da / ich liebe das Meer / vor allem im Rausch / da stell ich mir vor / das Meer besteht aus Wein / vor allem bei Sonnenuntergang / und wenn ich besoffen bin, dann geht die Sonne ständig unter / denn ich komm dann nur noch bei Sonnenuntergang zu mir / das ist eine herrliche Zelt / und sie dauert bald schon 45 Jahre / das ist fast schon eine Ewigkeit / und die Ewigkeit als Glück ist uns doch versprochen  - (acht)

 

Sonne

 


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