- Aretino, nach: Manganelli furioso. Handbuch für unnütze Leidenschaften. Berlin 1985
Sonnenuntergang (2) Du kommst in Versuchung, sie alle zu küssen, eine nach der anderen, auf den feuchten und heißen Mund, der im Kragen des feuchten und kalten Pelzes geborgen ist: feucht vom Atem und vom Nebel. Dieser Duft der Frau, des Tiers, des Parfüms. Dieser Duft des Winters.
Mögen sie glauben, daß sie ihrer Schönheit wegen geküßt werden. Illusion! Wir küssen sie, weil die melancholische Herrlichkeit dieses Sonnenuntergangs uns zärtlich stimmt.
Wie oft haben Frauen in unseren Armen mit klopfenden Herzen gebebt, während
wir sie nur an uns preßten, um unsere Hände zu wärmen! - Pitigrilli, Der
Hut auf dem Bett. In: P., Luxusweibchen. Reinbek bei Hamburg 1988
(rororo 12201, zuerst 1922)
Sonnenuntergang (3) Nach und nach kam der Sonnenuntergang,
aber einen solchen Sonnenuntergang hatten Cevenini und Ridolfi noch nie gesehen.
Am Horizont tauchten schöne rosa- und malven-farbene Wolkenstreifen auf und
ein Licht, daß es eine Lust war hinzusehen, und jenseits der Gartenmauer eine
Ruhe, wie sich die zwei Freunde nicht erinnern konnten,
je empfunden zu haben. Hier gab es nur Steine und Sand und Gebüsche und grasende
Schafe und Ziegen; die große Stille der weggeworfenen Dinge. -
Gianni Celati, Cevenini und Ridolfi. In: G. C., Cinema naturale. Berlin 2001
Sonnenuntergang (4) Wenig auf der Welt ist erholsamer
und. aufreizender als ein Sonnenuntergang in den Tropen;
und Goa tat sein Bestes, um ein erprobtes Produkt zu liefern. Es ist die Via
Condotti der tropischen Sonnenuntergänge. Eingangs Wolken hoch oben in nobler,
abstrakter Manier, während der Himmel dunkler zu werden beginnt; dann leichtfertigere
Wölkchen wie Kissen, Polster, Matratzen, Negligées;
und am Ufer dehnen sich die Palmwedel als Strumpfbänder,
Plumeau und Schönheitspflaster; und die Wellen klimpern dazu auf dem Gravicembalo.
Wenn dann die Nacht den Himmel versiegelt, hat man den Eindruck, einem zweideutigen
Schauspiel beigewohnt zu haben. - Giorgio Manganelli,
Das indische Experiment. Berlin 2004 (zuerst 1992)
Sonnenuntergang (5) «Alte Fotze! Du hast mich da reingezogen, und ich bin dein Beschützer. Ohne mich hätten sie dich schon an irgendeiner Ecke aufgeschlitzt. »
«Du kannst ja nicht mal dich selbst beschützen.»
«Du bettelst richtig um Schläge!»
«Los, schlag mich, schlag mich doch, wenn du dich traust!»
«Ich schlag dichjetzt! Eh?»
Es war eine Warnung oder auch eine Bitte um Erlaubnis. Jedesmal, wenn er sie schlug, hatte sie das Gefühl, das Bewußtsein ihrer selbst wiederzufinden, je mehr ihr Haß und ihre Hilflosigkeit zunahmen. Vor ein paar Wochen war er ohnmächtig geworden, nachdem er sich erbrochen hatte, und sie war seltsam fröhlich geworden, so sehr, daß sie beschlossen hatte, die ganzen Schläge der letzten Zeit loszuwerden. Sie hatte ihren Schuh ausgezogen und auf diesen am Boden liegenden Körper eingedroschen, aus dem nur ein erstauntes Stöhnen kam, bis sie entsetzt Blut gesehen und es vorgezogen hatte, damit Flüsse auf die dunkle Haut des nackten Mannes zu zeichnen, Flüsse, Zuflüsse, esoterische Skizzen, mit der Zeigefingerkuppe gezeichnet, der die Quelle des Blutes suchte, um ihm einen Lauf und ein Ziel zu geben.
«Gib mir einen Schuß, oder ich knall dir eine!»
Es knallte.
«Nimm dir doch deinen Schuß und fix ihn dir, du Waschlappen! Aber wir sind
fertig miteinander. Sobald ich draußen bin, ruf ich deinen Vater an und sag
ihm, er soll dich abholen und auf die große Farm bringen, zum Schweineputzen!»
- Manuel
Vázquez Montalbán, Schuß aus dem Hinterhalt. Reinbek bei Hamburg 1990
Sonnenuntergang (4) der Staat will, daß du in deinem Haus deinen Rausch
hast / den Rausch zu seiner Zeit / zwar unweit des Meeres / aber das
Meer war da / es war zwar weit weg / aber es war da / ich liebe das Meer
/ vor allem im Rausch / da stell ich mir vor / das Meer besteht aus
Wein / vor allem bei Sonnenuntergang / und wenn ich besoffen bin, dann
geht die Sonne ständig unter / denn ich komm dann nur noch bei
Sonnenuntergang zu mir / das ist eine herrliche Zelt / und sie dauert
bald schon 45 Jahre / das ist fast schon eine Ewigkeit / und die Ewigkeit als Glück ist uns doch versprochen
- (acht)
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