onnenaufgang    Aufstieg auf die Große Pyramide, die zur Rechten (Cheops). Die Steine, die aus einer Entfernung von zweihundert Fuß so groß wie Pflastersteine aussehen, sind immerhin, selbst die kleinsten, drei Fuß hoch; im allgemeinen reichen sie einem bis an die Schulter. Wir steigen an der linken Kante (gegenüber der Chephrenpyramide) hoch; die Araber schieben mich, ziehen mich, ich kann nicht mehr, es ist zum Verzweifeln vor Anstrengung. Fünf- oder sechsmal muß ich verschnaufen, Maxime ist vor mir aufgebrochen und kommt schnell vorwärts. Schließlich bin ich oben.

Wir warten eine gute halbe Stunde lang auf den Sonnenaufgang.

Vor mir ging die Sonne auf; das ganze in Nebel gehüllte Niltal glich einem weißen unbeweglichen Meer, und die Wüste dahinter mit ihren Sandhügeln einem weiteren, dunkel violetten Ozean mit lauter versteinerten Wellen. Indessen tauchte die Sonne hinter der arabischen Bergkette auf, der Nebel zerriß zu großen, hauchdünnen Schleiern, und die von Kanälen durchschnittenen Wiesen waren wie grüne Teppiche mit arabesken Randverzierungen. Alles in allem drei Farben: zu meinen Füßen im Vordergrund ein unermeßliches Grün; der Himmel von einem gelben, abgenutzt wirkenden Karminrot; im Hintergrund und zur Rechten eine weite, hügelige Ebene in einem schillernden, braunroten Ton, Minarette von Kairo, Canjas, die in der Ferne vorbeiziehen, Büschel von Palmbäumen.

Schließlich hat der Himmel da, wo die Sonne aufgehen wird, einen orangefarbenen Streifen. Alles, was sich zwisehen dem Horizont und uns befindet, ist ganz weiß und ähnelt einem Ozean; das zieht sich zurück und steigt an. Es scheint, als höbe sich die Sonne ganz rasch über die länglichen Wolken empor, die wie Flaum von unaussprechlicher Zartheit sind; man könnte meinen, die Bäume in den Büscheln von Dörfern (Gizeh, Matârîje, Bedrachein usw.) stünden oben am Himmel, da die ganze Fernsicht lotrecht ausgerichtet ist; ich hatte so eine Sicht schon einmal vom Paß der Picade in den Pyrenäen; hinter uns, wenn wir uns umdrehen, liegt die Wüste, violette Sandwogen: ein violetter Ozean.  - (orient)

Sonnenaufgang (2)  Es ist viel über den Sonnenaufgang auf See gesagt worden. Er hält aber keinen Vergleich aus mit dem an Land. Ich vermißte den Gesang der Vögel, das langsame Erwachen des menschlichen Getriebes, den Schein der ersten Sonnenstrahlen auf Berge, Bäume, Türme und Dächer; es fehlte die belebte Landschaft. Bei der unendlichen Weite und Leere des Ozeans läßt sich ein Gefühl der Schwermut nicht unterdrücken. - (dana)

Sonnenaufgang (3)  Nirgends ein Laut - alles totenstill - gerade, als ob die ganze Welt im Schlaf läge, nur manchmal das Gequake eines Ochsenfrosches. Als erstes, wenn man übers Wasser guckte, kam ein schwacher Streif zum Vorschein - das waren die Wälder am andern Ufer - weiter war nichts zu erkennen; dann eine blasse Stelle am Himmel; dann immer mehr fahle Helle, die sich ausbreitete; dann lichtete sich in der Feme der Fluß auf und war nicht mehr schwarz, sondern grau; man konnte kleine dunkle Flecke treiben sehen, so weit weg - Marktboote und dergleichen; und lange schwarze Streifen - Flöße; manchmal konnte man ein Ruder kreischen hören oder verworrene Stimmen - es war so still, und die Laute kamen aus so weiter Feme; und nach einer Weile konnte man einen Streifen auf dem Wasser sehen und wußte vom Ansehn, daß da ein Baumstamm in der schnellen Strömung war, wo sich das Wasser brach und diesen Streifen hervorbrachte; und man sah, wie sich der Nebel vom Wasser emporkräuselte und wie der östliche Himmel sich rötete, und der Fluß auch, und am Rand der Wälder, drüben am andern Ufer des Flusses, erkannte man eine Blockhütte, ein Holzhof vermutlich; dann kam eine leichte Brise von dort drüben und fächelte einen, ganz kühl und frisch und süß duftend nach Wäldern und Blumen; aber manchmal auch anders, wenn nämlich tote Fische, Hornhechte und dergleichen, am Ufer liegengeblieben waren, und die stinken nicht schlecht; und dann war's heller Tag, und alles lächelte in der Sonne, und die Singvögel legten los! - Mark Twain, Huckleberry Finn. Frankfurt am Main 1975 (zuerst 1884)

Sonnenaufgang (4)   Das sexkranke Kreischen der städtischen Leichenwagen sodomisierte den neugeborenen Tag. Chicago, die aufgeputzte Schlampe, hatte wieder eine Nacht der Fleischeslust zerfickt. Jetzt lag die falsche Große Dame in ihrem neonbleichen Ballkleid, schäbig im gnadenlosen Licht. In ihren fahlen Schlüpfern hing der Pestgestank von jungem und uraltem Tod. - Iceberg Slim, Todesfluch. Reinbek bei Hamburg 1997 (zuerst 1977)

Sonnenaufgang (5)

Sonnenaufgang mit Meeresungeheuer

- William Turner

Sonnenaufgang (6)

Unter uns glitt Japan dahin, und die Lichtflecke seiner Städte waren deutlich zu sehen. Nachdem wir Japan passiert hatten, gelangten wir in die dunkle Leere des Stillen Ozeans. Der Mond war nicht zu sehen. Die Sterne waren hell und fern. Ich hing weiter am Haltegriff wie auf der Plattform einer Straßenbahn... Ganz langsam, unerträglich langsam dehnte sich die halbe Stunde, bis auf der Erde die Frühdämmerung zu erscheinen begann. Zunächst zeigte sich am Horizont ein feiner grünlich-blauer Streifen; dann verwandelte er sich binnen einiger Minuten in eine in allen Regenbogenfarben schimmernde Aureole; und schließlich brach die goldene Sonnenscheibe daraus hervor. - Walerij Rjumin, nach  Der Heimatplanet, ed. Kevin W. Kelley, Frankfurt am Main 1989,  zuerst 1988

Sonnenaufgang (7) »Mannomann, was 'ne Sonne!« sagte Lenzetta, nachdem der Alte  hineingegangen war und sie allein in der Borgata standen: denn ein ganz sanft violett gefärbtes Licht war heruntergekommen und schwamm auf den Straßen, zwischen einem Wohnblock und dem nächsten, es strahlte aus der Ferne her, von da, wo der unsichtbare Flammenschein hinter den Hügeln stand, wahrend zwischen den Simsen zwei, drei Eulen rufend hin und her flogen.

Lenzetta, der ihnen besorgt lauschte, ganz in Gedanken an die Rolle der tüchtigen Jungs, die sie gespielt hatten, an die Familie Bifoni und an den Tod, worauf ihm die Knie schlotterten, einen Augenblick wie in tiefer Versenkung geistesabwesend stehen, zog dann ein Knie an seinen Bauch und ließ einen Furz raus. Aber der kam nur gequält und nicht von Herzen.  - (rag)

Sonnenaufgang (8)  Die Sonne hatte sich die Stiefel angelegt, um zu den Antipoden zu kutschieren, die sie wie betäubte Hühner schon erwarteten; und die Zikaden, durch ihr Scheiden verstummt, hatten ihr Geschäft den Grillen überlassen; da glich der Tag einem ruinierten Kaufmann, der nach einer Kirche ausschaut, um mit einem Satz hineinzuspringen. Und schon ließen sich Kauz und Eule blicken, die Papageien der Nacht, und zeigten sich ihr, die mit verbundenen Augen, wortlos, schwermütig, melancholisch und gedankenvoll einherkam, angetan mit einem schwarzen Umhang, und mit dem Schritt einer Witwe, die um den vor Monatsfrist verschiedenen Gatten seufzt. Und das Gestirn, das die Astrologen zum Irrereden bringt, kam maskiert auf die Bühne mit einem Leintuch um den Leib; und die Sterne, die bei Sinnen und von Sinnen sind, in böser und in guter Gesellschaft, kamen feurig vergoldet aus der Hand des Goldschmiedmeisters Apollo ans Fenster: zuerst einer, dann zu zweien, zu dreien, zu vieren, dann fünfzig, hundert und tausend. ..   - Aretino, nach: Giorgio Manganelli, Manganelli furioso. Handbuch für unnütze Leidenschaften. Berlin 1985

Sonnenaufgang (9)  

Ähnlich streut zu gegebener Zeit durch des Äthers Gefilde
Frührot rosiges Licht und verbreitet den leuchtenden Schimmer,
Sei's daß dieselbige Sonne, die unter der Erde zurückkehrt,
Strahlen im voraus schickt, die den Himmel sollen entzünden,
Oder weil in der gegebenen Zeit viel Feuer sich sammelt
Und viel Giutelemente sich jetzt zu vereinen gewöhnt sind,
Um stets wieder aufs neue das Sonnenlicht zu erzeugen.
Also heißt es, man könne vom Gipfel des Idagebirges
Bei dem erstehenden Licht noch die einzelnen Bündel des Feuers
Unterscheiden, die dann sich zusammenrunden zur Kugel.
Hierbei darf es durchaus nicht wundernehmen, daß diese
Feueratome sich grade zu solcher gegebenen Stunde
Können vereinen, um so zu erneuern das Feuer der Sonne.
Denn wir sehen ja vieles bei allen nur möglichen Dingen
An die gegebenen Zeiten gebunden. So blühen die Bäume
Zu der gegebenen Zeit und ebenso fallen die Blüten;
In der gegebenen Zeit (so will es das Alter) verschwinden
Kindern die Erstlingszähne, den Mannbaren kleidet der weiche
Flaum und ebenso wallt von der Wange des Mannes der Vollbart.
Endlich der Blitz und der Schnee, Platzregen und Wolken und Winde
Sind an ziemlich bestimmte Gezeiten des Jahres gebunden.
Denn wenn die Grundelemente der Ursachen so sind geschaffen
Und von dem ersten Beginne die Dinge sich also gestalten,
Kehren sie folglich auch jetzt nach festen Bestimmungen wieder. 

- (luk)

Sonne Anfang 

 

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