ohn,
schlimmer Der älteste Sohn: Schau, dem wächst links und rechts
vom Rückgrat je eine Bahn Haare, ein festes Fell. Der läßt sich, mußt Du wissen,
am liebsten auf die Hände nieder, wird dann bestürzend flink, besonders, wenn
was Lebendiges ihm entfliehen will, also Katzen, kleinere Hunde, am liebsten
aber Vögel schlägt er mit seinen dazu geeigneten Händen. Ihm wachsen nämlich
die Nägel so stark, daß sie kaum abzuzwicken sind. Und seit seine Mutter sie
ihm täglich kürzt, würgt er seine Beute. Oft entkommt er aus der Wohnung, streift
durch die Stadt, schlüpft in ein feines Geschäft, immer ist es ein Pelzgeschäft,
immer findet er die feinsten Felle, die er mit Zähnen und Nägeln zerfetzt, bis
den Verkäufern ein Schwanken in den hängenden Mänteln auf fällt, sie alarmieren
einander, umstellen den wandbreiten Schrank, fangen den Sohn, der hat sich so
in einen Nerz verbissen, daß er sich nicht wehrt. Sie losen ihn aus dem Pelz,
schätzen den Schaden, die Polizei notiert, der kleine Vernichter ist schon bekannt,
die Mutter ist zu bedauern, aber haftbar ist sie auch, soll sie doch mit dem
kräftiger werdenden Raubtier in die Haftpflicht. Die Versicherungen lehnen ab.
Sie wissen Bescheid. Dieser Kaputtmacher wächst jeden Tag. Mit ihm wachsen die
Objekte, die er kaputt machen muß. Neuerdings soll er in den Anlagen Rentner
angreifen und würgen. Die traut er sich jetzt schon zu. Die Rentner gehen und
sitzen nur noch in Gruppen. Stellen Wachen. Inzwischen interessieren sie sich
für diesen Kampf, Sie setzen einen ihrer Schwächsten auf die Bank, verbergen
sich rundum in den Büschen. Wenn der Wildling anschleicht, halten sie alle ihren
röchelnden Atem an. Wenn der Wildling sich von hinten aufs ausgesetzte Rentnerluder
stürzt, fallen sie aus den Büschen heraus mit blauen Gesichtern über ihn her,
er wird auf die Bank gelegt, entkleidet und mit Ruten geschlagen bis seine Haut
reißt oder wenigstens die Farbe ihrer Gesichter zeigt. Dann lassen sie ihn laufen.
Er kommt, oft kaum noch bekleidet, wimmernd und blutig nach Hause. Dann begnügt
er sich ein paar Tage lang damit, die Briefkastenschlitze der Nachbarschaft
mit seinem Kot zuzuschmieren oder er schneidet mit einem Messer die Kleider
kleinerer Mädchen vom Hals hinunter bis zum Saum senkrecht durch. Und ritzt
schon mal eins, das nicht stillhalten kann. Seine Mutter liebt
ihn natürlich ungeheuer. Und verglichen mit der ältesten Tochter ist er ja auch
ein liebes und angenehm gelungenes Kind. - Martin Walser, Das Einhorn. Frankfurt am Main
1966
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