Sitzung, spiritistische  Jemand schlägt vor, man könnte doch eine spiritistische Sitzung machen, um die Toten sprechen zu hören. Alle stimmen der Idee begeistert zu, und man macht das Licht ein wenig dämmriger, und das Medium setzt sich allein an einen Tisch im Halbdunkel. Etliche Minuten herrscht großes Schweigen. Der Professor fängt an, zur Wand gekehrt, Fragen ins Leere zu sprechen, als würde er telefonieren: »Ich höre nicht gut.«

Niemand hört nämlich etwas. Aber alle bekommen dann nach und nach den Eindruck, als sei eine Stimme im Zimmer, die dünne und eingerostete Stimme eines Toten, der seit Jahrhunderten nicht spricht. Sie kommt aus der Öffnung des Kamins hinter einem Sofa hervor.

Neben dem Kamin ausgestreckt war Baratto eingeschlafen, er spricht jetzt im Schlaf und antwortet auf die Fragen des Professors. Alle bemerken es und sind aufgeregt, sie ermuntern den Professor, mit seinen Fragen fortzufahren. Und Crone fragt: »Sag mir, woran du gerade denkst.«

Der Schläfer beginnt mit verworrenen Sätzen zu sagen, daß er nicht antworten kann, weil seine Gedanken anderswo sind und nicht hier. Als ihn der Professor fragt, wo sie denn seien, antwortet er, daß die Zeit läuft und die Gedanken laufen, und wer weiß, wohin sie laufen?

Nach vielen anderen ähnlichen Sätzen bittet ihn der Professor, ein wenig genauer zu erklären, sie möchten doch alle verstehen, was er im Kopf habe. Da richtet sich Baratto wie ein Schlafwandler zum Sitzen auf, faßt sich an die Schläfe und antwortet, da drinnen, im Kopf, ist gar nichts, alles geschieht draußen.

Da möchte einer aus dem Publikum wissen: »Wo draußen?« und er bleibt unbewegt, aber mit halb geschlossenen Augen sitzen und antwortet; »Draußen in der Luft, wo die Sätze herumschwirren, die einem in den Sinn kommen, und drum kann man auch etwas sagen.«

Jetzt ist es der Doktor, der eine Frage hat: »Baratto, du bist so viele Monate lang stumm gewesen, aber was hattest du die ganze Zeit über im Kopf?« Dazu sagt die blonde Frau ganz erregt: »Ach, es ist ja so interessant zu erfahren, was im Kopf der anderen vor sich geht.«

Immer noch mit halbgeschlossenen Augen und unbewegt dasitzend antwortet Baratto mit folgenden Worten auf die Frage: »Die Sätze kommen und dann gehen sie wieder, und sie bringen die Gedanken mit, die dann wieder gehen. Reden und reden, denken und denken, und dann bleibt nichts. Der Kopf ist nichts, alles geschieht draußen im Freien.«   - Gianni Celati, Der wahre Schein. Berlin o. J. (zuerst 1987)

Sitzung, spiritistische (2) Schließlich hatten alle Platz genommen; man löschte die Lichter. Sofort, es konnte gar nicht anders sein, legte sich eine Männerhand auf meinen rechten Schenkel und eine andere auf meinen linken. Die von links (folglich eine rechte Hand) war inquisitiv und beweglich, die von rechts besitzergreifend und schwer: Die Tatze eines Löwen.

Die Sitzung begann: aus dem Ohr Madame Baoghals quoll eine weißliche und klebrige Substanz, die nach und nach eine ungefähr eiförmige Gestalt annahm. Ich beobachtete die Sache sehr aufmerksam (ich glaube nämlich nicht daran), und um mich nicht ablenken zu lassen, nahm ich die Hand von rechts und brachte sie mit der Hand von links in Berührung; sie betasteten sich einen kurzen Augenblick und zogen sich dann geschwind zurück.

Die eiförmige Gestalt verwandelte sich nach und nach in einen ungefähr menschlichen Kopf; dann schrumpfte sie zusammen und zog sich wieder in das ejakulatorische (ein verdammt gelehrtes Wort, vielleicht sollte man es gar nicht in diesem Sinne gebrauchen, aber es ist schon spät und ich bin zu faul, um ins Wörterbuch zu sehen) Ohr zurück. Darauf hob Madame Baoghal mit sonderbarer und vorfabrizierter Stimme zu sprechen an und beschrieb das Leben der Bewohner des Jupiters, die trigamistisch und hermaphroditisch sind und sich durch Knospentreiben fortpflanzen. Ich fand diese Rede höchst langweilig und widerlich und fragte mich, ob ich nicht einmal zum Zeitvertreib meine Hände auf die Schenkel meiner Nachbarn legen sollte, nur um zu sehen, was passieren würde. Aber ich traute mich nicht. - (sally)

Sitzung, spiritistische (3)
 

Bei spiritistischer Sitzung, geleitet von honigsüß sprechendem Zigeuner, bitten Sie, den Geist Rudolph Valentinos zu beschwören. Geist erscheint, Sie werden entjungfert.

Nach Entjungferung sagen Sie: »Spitze, Herr Valentino. Darf ich Sie jetzt noch um ein Autogramm bitten?«

Er sagt: »Unter uns, der ganze Spiritismus ist ein Schwindel

Sie sagen: »Ehrlich gesagt, ich persönlich glaub' auch nicht recht daran.«

Spiritistische Sitzung

Zigeuner, als Gleichberechtigte behandelt, erweisen sich meist als aufrichtig.

MISS H. P.

 - Hyacinthe Phypps & Edward Gorey, Das jüngst entjungferte Mädchen. Das rechte Wort am unrechten Ort. Zürich 1971 (detebe 101, zuerst 1966)

Sitzung, spiritistische (4)  In einem großen, kahlen Zimmer versammeln sich zehn brauen, fünf Männer, drei Jungen.

Frau M. stellt eine weisse Plastikbalje voller Wasser auf den Boden.

Sie löst Wäscheblau darin auf und streut weisse Chrysanthemenblüten hinein.

Sie spült ihre Hände darin ab, schnalzt mit den Fingern, bestreicht sich den Nacken, die Haare, die Kniekehlen, die Beine. Alle Versammelten vollführen nacheinander diese Geste der geistlichen Reinigung.

Frau M. setzt sich neben einen Tisch.

Darauf   eine   weisse   Spitzendecke,   Chrysanthemen,   Cognacschwenker.

In einem Cognacschwenker Wasser und ein silbernes Kruzifix. Frau M. parfümiert sich. Sie gibt die Parfümflasche weiter. Alle parfümieren sich im Sitzen.

Frau M. liest Gebete und Hymnen aus dem kleinen Devotiona-rium von Allan Kardec. Frau M. sagt:

- Redet frei.

- Keiner ist hier mehr als der andre. Eine Frau sagt:

- Ich habe von einer Frau im Cognacschwenker geträumt. Die sah aus wie die Göttin Yemaya.

Ein dicker, etwa 25-jähriger Sohn von M. hüpft herzu und gibt flatternde Kommentare:

- Wie heisst das noch?!

- Manchmal seh ich was, manchmal seh ich nichts.

- Vielleicht haben Sie eine Feindin, die insgeheim etwas gegen Sie plant?

Die Frau nickt.

Der dicke Sohn von M. hüpft wieder hinaus.

Alle singen ein Kirchenlied.

Der Maurer Manolo sagt mit nassen Augen:

- Ich muss immer weinen. Eine Frau:

- Wehr dich nicht dagegen.

- Weine.

- Rede.

- Das ist ein Geist, der aus dir sprechen will.

Wieder ein Kirchenlied.

Manolo lehnt sich mit tränenerfüllten Augen zurück.

Eine Frau steht auf, ergreift Manolos Hände, vollführt kreisende

Bewegungen damit.

- Herbei! Herbei! Du, Geist!

- Rede, damit man weiss, worum es geht!

Manolo atmet laut. Er zittert. Tränen laufen aus seinen Augen.

M. sagt:

-Ein Toter! Ein Toter!

Manolo schluckt heftig.

Er nennt den Namen seines Grossvaters.

M.:

- Eine Verdoppelung!

Kirchenlieder.

M. holt einen Wedel und ein Hirschhorn, an dem ein grüner Perlenbeutel hangt. M. geht auf Manolo zu. M. rüttelt Manolo. Manolo stürzt sich auf M. Manolo beruhigt sich und setzt sich wieder.

Eine Frau begrüsst mit geschlossenen Augen einen nach dem anderen, sagt wahr, betastet die Körper der Gläubigen. Zum Schluss werden die Cognacschwenker genommen, zu einem Kirchenlied drehen sich die Gläubigen im Kreis und um sich selbst. Sie giessen das Wasser aus den Cognacschwenkern in den Garten.  - (pet)

 

Sitzung Spiritismus

 

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