itzen Schon der sagenhafte griechische Gesetzgeber Lykurg, einer der Sieben Weisen, hatte den Bürgern jede Arbeit schlichtweg untersagt:
»Keiner durfte leben wie er wollte; einem jeden war in Sparta, so wie in einem Lager, eine bestimmte Lebensart und seine Beschäftigung für das allgemeine Beste vorgeschrieben, und jedermann, wes Alters er auch sein mochte, glaubte, daß er nicht sich selbst, sondern dem Staate angehöre. Wenn den Erwachsenen sonst nichts aufgetragen war, gaben sie auf die Knaben acht und lehrten sie etwas Nützliches, oder lernten selbst von den Alten. Denn dies war einer der großen und herrlichen Vorteile, welche die Spartaner dem Lykurgos verdankten, daß sie immer Muße hatten, weil sie durchaus keine Künste oder Handwerke treiben durften.«
Mit seinem strengen Verbot hatte der spartanische Weise nur eine allgemeine griechische Überzeugung in ein Regelwerk gefaßt. Bei Herodot erfahren wir bei der Beschreibung der ägyptischen Kriegerkaste ganz nebenbei:
»Keiner von ihnen betreibt ein Handwerk, sondern sie führen alle nur das Schwert... Ob nun die Griechen auch dies von den Ägyptern angenommen haben, muß ich dahingestellt sein lassen, da ja auch die Thraker, die Skythen, die Perser und die Lyder und fast alle fremden Völker die Handwerker und deren Kinder für geringer achten als die übrigen Stände und diejenigen, welche kein Handwerk treiben, besonders aber die, die sich nur mit dem Kriegsdienst befassen, für vornehmer halten, Und die Griechen, besonders die Lakedaimonier, haben ihnen das ja alle nachgemacht.«
Banausia ist altgriechisch und heißt Handwerk, das Handwerksmäßige, Mechanische, Geistlose, Gemeine. Ein Handwerker war ein Banause, ganz in unserem heutigen Sinn. Ein Banause ist eigentlich einer, der beim Ofen, beim Kamin arbeitet. Dann überhaupt einer, der ein Handwerk sitzend betreibt.
Sitzen macht dumm, so altgriechische Überzeugung. Man lese bei Xenophon: »Denn gerade die sogenannten handwerklichen Fächer sind verrufen [sagt Sokrates] und werden verständlicherweise in den Städten sehr verachtet. Denn sie schädigen die Körper der Arbeiter und der Aufseher, weil sie zwingen, zu sitzen und ohne Licht und Luft zu sein, einige sogar den ganzen Tag vor dem Feuer zuzubringen. Sind die Körper erst verweichlicht, dann werden auch die Seelen merklich schwächer. Auch lassen die sogenannten handwerklichen Fächer am wenigsten freie Zeit, sich noch um Freunde und Staat zu kümmern, so daß solche Leute zu schlecht zu sein scheinen, um Freunde zu haben und Verteidiger ihrer Vaterstadt zu sein, und daher ist es in einigen Staaten, besonders aber in denen, die als kriegstüchtig gelten, keinem Bürger erlaubt, in einem handwerklichen Fach zu arbeiten.«
Daß auf niedrigem Handwerk und Tagelöhnerei ein Schimpf liege , war
für Platon eine Selbstverständlichkeit. -
(
para
)
Sitzen (2)
- Berlin-
Wannsee
(Heckeshorn),
unbekannter Künstler
Sitzen (3)
DIE SITZENDEN Schwarz von Geschwülsten, pockig, um die Augen Ringe, Sie haben in fallsüchtig liebendem Erdreisten, Die Greise und die Stühle waren stets verflochten, Und gütig sind die Stühle ihnen: braun geschunden Knie an den Zähnen, sitzend, grüne Pianisten, — Oh! Heißt nicht aufstehn sie! Schiftbruch ist das... sie
tauchen Ihr hört an dunkle Wände sie die kahlen Köpfe Sie haben eine unsichtbare Hand,
die tötet: Im Sitz aufs neu, die Faust in schmutzigen Manschetten Ließ strenger Schlaf ihr Aug auf ihren Arm sich neigen,
Und Tintenblumen, Samenstriche speiend, wiegen |
Sitzen (4) Im Sitzen holt sich der Mensch fremde Beine zu Hilfe, an Stelle jener zwei, die er seiner Aufrichtung zuliebe aufgegeben hat. Der Stuhl in der Form, wie wir ihn heute kennen, leitet sich vom Thron ab; dieser aber setzt unterworfene Tiere oder Menschen voraus, die den Herrscher zu tragen haben. Die vier Beine eines Stuhles stehen für die Beine eines Tieres, Pferd, Rind oder Elefant; vom Sich-Niederlassen auf den Boden, dem Hocken, ist diese Art des Sitzens auf erhöhten Stühlen wohl zu unterscheiden. Sie hat einen ganz anderen Sinn, das Sitzen auf dem Stuhl war eine Auszeichnung. Wer saß, hatte sich auf den anderen niedergelassen, die seine Untertanen und Sklaven waren. Während er sitzen durfte, mußten sie stehen. Ihre Ermüdung fiel nicht ins Gewicht, solange er geschont wurde. Er war das Wichtigste; davon, daß seine heilige Kraft gespart wurde, hing das Wohlergehen aller übrigen ab.
Jeder Sitzende drückt gegen etwas, das wehrlos ist und keinen aktiven
Gegendruck ausüben kann. Es sind die Eigenschaften des Reitens, die ins
Sitzen eingegangen sind, aber die Bewegung des Reitens
gibt immer den Eindruck, daß es nicht Selbstzweck ist, daß man reitend
zum Ziel gelangen will, rascher, als es sonst möglich wäre. Die Erstarrung
des Reitens zum Sitzen macht aus dem Verhältnis des Oberen zum Unteren
etwas Abstraktes, als käme es darauf an, gerade dieses Verhältnis zum Ausdruck
zu bringen. Das Untere, das nicht einmal lebt, wird wie für immer festgesetzt.
Es hat überhaupt keinen Willen mehr, weniger noch als der Sklave, es ist
Sklaverei in äußerster Konsequenz. - (
cane
)
Sitzen (5) Er wohnte allein, in einem freistehenden Gartenhaus. («Der Wind muß von allen Seiten heranwehen können», sagte er.) In dem fast leeren Zimmer fanden wir ihn an einen großen grünen Kachelofen gelehnt. Mit einer Hand strich er sich durch den ergrauten, walroßhaft herabhängenden Nietzschebart, mit der anderen zeigte er um sich. «Ich kann Sie leider nicht bitten, Platz zu nehmen — wie Sie sehen, sind nur zwei Stühle da, und die brauche ich für mein Experiment. Sie sind auch von mir nie zum Sitzen benutzt worden. Es sind gewissermaßen magisch gewordene Verkörperungen jahrelanger Geduld.»
Es war, als flöge er plötzlich von uns fort, an einen Ort, wohin wir ihm
nicht folgen konnten. Dann, als kehre er zur Wirklichkeit und zu uns zurück;
«Also, es tut mir leid, aber Sie müssen stehen. Da
ich Ihnen heute nacht einen Beweis meiner magnetischen Kräfte geben will, dürfen
wir unsere Energie nicht durch Sitzen abspalten. Das Sitzen, meine Herren, wirkt
ungünstig auf das Sonncngeflecht» — er machte eine kreisende Bewegung seiner
unteren Leibesmitte—, «und ich brauche zu meinem Experiment auch Ihre ganze
Energie und Konzentration». Und sich wiederholend, denn es schien ihm dieses
wohl besonders wichtig, hob er lächelnd den Zeigefinger
und schloß mit einem überlegenen Ausdruck schlauen Wissens um Geheimnisse, die
uns ewig verschlossen bleiben würden: «Ja, ja — knickt das Sonnengeflecht ein,
und weg sind die magnetischen Strahlungen!» - George Grosz, Ein kleines Ja und ein
großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek bei Hamburg 1986, zuerst
1955
Sitzen (6)
Sitzen (7) Wir kriegten Zuwachs, einen
jungen Mann. Kaum war er auf der Zelle, da schlug er seinen langen Militärmantel
auseinander und klemmte den Handfeger zwischen die Beine. Ich dachte, er sei
vom Hexenwahn besessen. Nein, er hätte Hämorrhoiden, eine Krankheit, von der
ich bis dahin nur wußte, daß sie merkwürdig geschrieben wird. Dann probierte
er, ob er besser so sitze oder so. - Walter Kempowski, Im Block. Frankfurt
am Main 1972 (zuerst 1969)
Sitzen (8) Man strenge die Seelenkräfte
nicht zu frühzeitig zum Lernen an. Es ist ein großes Vorurteil, daß man damit
nicht früh genug anfangen zu können glaubt. Allerdings kann man zu bald anfangen,
wenn man den Zeitpunkt wählt, wo noch die Natur mit Ausbildung der körperlichen
Kräfte und Organe beschäftigt ist, und alle Kraft dazu nötig hat, und dies ist
bis zum siebenten Jahre. Nötigt man da schon Kinder zum Stubensitzen
und Lernen, so entzieht man ihrem Körper den edelsten
Teil der Kräfte, der nun zum Denkgeschäft konsumiert wird, und es entsteht unausbleiblich
Zurückbleiben im Wachstum, unvollkommene Ausbildung der Glieder, Schwäche der
Muskularteile, schlechte Verdauung, schlechte Säfte, Skrofeln, ein Übergewicht
des Nervensystems in der ganzen Maschine, welches zeitlebens durch Nervenübel,
Hypochondrie u. dgl. lästig wird. - (
huf
)
Sitzen (9)
Sitzen (10)
- Giulio Romano, nach: Carolin Fischer, Gärten der Lust. Eine Geschichte
erregender Lektüren. München 2000 (dtv 30768, zuerst 1997)
Sitzen (11)
"Schwere Sitzende mit Strümpfen und Hut"
-
Reiner Zimnik, in: Kurt Böttcher, Johannes Mittenzwei, Zwiegespräch. Deutschsprachige
Schriftsteller als Maler und Zeichner. Leipzig 1980
Sitzen (12)
-
Topor
Sitzen (13) Swami war ein sehr reicher Mann — eines Tages verschenkte er sein Vermögen an die Armen. Er ging in den Garten eines ihm befreundeten Jainakaufmanns und büßte; das heißt, er setzte sich mit untergeschlagenen Beinen und ausgespreizten Händen nackt dahin. Nach ein paar Jahren fand er Bewunderer und mit ihnen kam das Geld. Swami Saraswati ließ sich einen Bildhauer aus Agra kommen, der fertigte einen kleinen Tempel und darin aus Marmor die lebensgroße Figur Swamis. Oder auch Maha-viras, des Stifters der Jainareligion —; wie man will. Denn die, übrigens ausgezeichnet gearbeitete Figur, trägt Swamis Züge — Swami aber wieder saß in der klassischen Stellung des Religionsstifters. Die Jainalehre ist, daß Mahavira vierundzwanzigmal im Laufe der Zeiten wieder zur Erde geboren wird — — Swarai Saraswati ambitionierte also nichts weniger als einer dieser Buddhas — Jinas in der Jainalehre — zu sein. Und so setzte er sich unter sein eigenes Bild — oder das der Gottheit — und saß da weiter durch einige fünfzehn Jahre im starken Gerüche ungeheuerer Heiligkeit. Seine Tätigkeit — eben sein Dasitzen — war von außerordentlichem Erfolge gekrönt: ein Lac*) Rupien nach dem ändern konnte er in der Bank von Bengalen hinterlegen. Als er starb, war er ein Heiliger für Benares und für viele Millionen Inder, dazu ward er in seiner Jainage-meinde zum Jina, zum wiedergeborenen Gott, erklärt. Die Opfergaben hatten rund sieben Millionen Rupien erreicht; für einen Teil davon ließ er sich — neben seinem alten Platze — einen schönen Grabtempel bauen, den größeren erhielten seine Erben. Der Erfolg dieses Gosain war also zweifellos ein ungeheuerer, aber immerhin — — zwanzig lange Jahre auf demselben Flecke sitzen zu müssen! Ich für meinen Teil würde mich bedanken.
Swami Saraswati war ein Schlauer. Er erhielt für eine — für indische Begriffe
— sehr leichte Buße eine sehr große Belohnung, freilich war er ein Reicher und
ein Mitglied einer hohen Kaste. Die meisten Yogin und Samnyasi aber sind blutarme
Teufel und aus der niederen Kaste der Sudra — — wenn sie sich auch noch so furchtbare,
jahrelange Qualen auferlegen, so bringen sie es doch recht selten zu etwas.
- Hanns Heinz
Ewers, Indien und Ich. München 1918 (zuerst 1911)
Sitzen (14) Der Stuhl
ist ein Sedativum und die Sedativierung des Sitzens bezeichnet einen Prozeß
zunehmender Kontrolle des Vegetativen und der Beruhigung, der gerade nicht zu
innerer Ruhe führt, sondern eine Unruhe anderer Art hervortreibt, nämlich Nervosität,
Melancholie, Unrast und Ressentiment. Diese Unruhe anderer Art infolge des Sitzens
bringen Worte wie Entsetzen, aufsässig, Besessenheit
oder Versessensein zum Ausdruck. -
Hajo Eickhoff, nach Telepolis vom 22.01.1997
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