Herr
B. (der Mann bleibt lieber ungenannt) hatte sich Zeit seines Lebens der Unzucht
ergeben, in dem Maße, daß man getrost annehmen darf, im Falle man sich zur Seelenwanderungslehre
bekennt, daß er sich auch nach seinem Tode nicht anders zu beschäftigen wissen
wird. Nicht nur hatte er alles praktiziert, was die Juristen unter „Sittlichkeitsverbrechen"
verstehen, sondern obendrein das bekannte Register noch um direkt patentierbare
Erfindungen bereichert, so daß der berühmte de Sade im Vergleich mit ihm nur
ein (allerdings auch blutiger) Dilettant ist.
Herr B. hatte die Gefälligkeit, sich als Luzifer aufzufassen und sogenannte Teufelsmessen zu begehen. Man beachte doch, daß es sich bereits zwischen Adam und Eva nicht so sehr um den Akt als ursprünglich um den Reiz des Verbotenen gehandelt hatte; sie wollten gar nicht „lieben", sondern sündigen. De Rais und de Sade werden in dieser Beleuchtung zu einer Art negativer Heiliger; der Herr B. empfand sich als Satan, und erst infolgedessen verging er sich auf Teufelkommraus geschlechtlich; die Geschlechtlichkeit an sich machte ihm gar keinen Spaß. Hätte man dasselbe, was er tat, von Rechts wegen anbefohlen, so hätte er's nicht nur unterlassen, sondern sich in ein Kloster zurückgezogen, gesetzt, der fromme Lebenswandel wäre als Prostitution verboten worden. Schon den Romantiker Novalis interessierte das enge Zusammen von Wollust, Grausamkeit und Religiosität. Aber ohne den Heiligen Geist des Fleisches wäre das Fleisch überhaupt nicht verführerisch, und ohne die Möglichkeit des Verbrechens gegen den Heiligen Geist würde die Sexualität nicht so gern in Grausamkeit ausarten.
In der Tat, was soll denn ein Mensch tun, der sich nur noch als Sünder aushält,
interessant findet und wohlfühlt? Er muß auf den Akt und nicht nur auf den harmlosen,
sondern auf die grausamsten Akte geraten; daher die den Kriminalisten wohlbekannte
Beziehung zwischen Dieberei z. B. und Sexus; wobei, was die schlechten Kriminalisten
und Psychologen nicht wissen, das Verbrechen primär, die Sexualität nur ein
Hinterher, ein transforrmierter Diebstahl ist. - Mynona, Das Eisenbahnunglück.
Mit Zeichnungen von Hans Bellmer. Hamburg 1988 (zuerst 1925)
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