Das mochte ihm sauer werden, erstens seiner Dummheit wegen und zweitens,
weil es in der Tat ein Krankheitsbild von großer Allgemeinheit und Unbestimmtheit
war, das ich bot. Er behorchte und beklopfte mich mehrfach von allen Seiten,
bohrte mir den Stiel eines Suppenlöffels in den Schlund, belästigte mich
mit dem Fieberthermometer und mußte dann wohl oder übel zum Spruche kommen.
»Migräne«, erklärte er. »Kein Grund zur Beunruhigung. Wir kennen ja diese
Neigung bei unserem jungen Freunde. Leider ist der Magen nicht unerheblich
in Mitleidenschaft gezogen. Ich empfehle Ruhe, keine
Besuche, wenig Gespräche, am besten Verdunkelung
des Zimmers.« - Thomas
Mann
,
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Frankfurt am Main 1965 (Fischer-Tb.
639, zuerst 1954)
«Alle solche Krankheiten, wo man Sdiaum vorm Maul braucht», sagte der feiste Simulant, «lassen sich schlecht simulieren. Wie zum Beispiel die hinfallende Krankheit. Da war hier auch einer mit hinfallender Krankheit, der hat uns immer gesagt, daß es ihm auf einen Krampf nicht ankommt, so hat er euch manchmal zehn in einem Tag zuwege gebracht. Er hat sich in Krämpfen gewunden, hat die Fäuste geballt, hat die Augen herausgewälzt, daß es ausgesehen hat, wie wenn er sie auf Stielen hätt, hat um sich geschlagen, die Zunge herausgesteckt, kurz ich sag euch, eine herrliche erstklassige hinfallende Krankheit, so eine ganz echte. Auf einmal hat er Asten bekommen, zwei am Hals, zwei am Rücken, und aus wars mit den Krämpfen und mit dem Auf-den-Boden-Schlagen, weil er den Kopf nicht hat rühren können, nicht sitzen und nicht liegen. Er hat Fieber gekriegt, und im Fieber hat er bei der Visit alles verraten. Und er hat uns mit diesen Asten ordentlich zugesetzt, weil er mit ihnen noch drei Tage hat zwischen uns liegen müssen und zweite Diät gekriegt hat, früh Kaffee mit einer Semmel, abends Brei oder Suppe, und wir ham zuschaun müssen mit hungrigem ausgepumptem Magen und ganzer Diät, wie der Kerl frißt, schmatzt und vor Sattheit faucht und rülpst. Dreie hat er damit ins Unglück gestürzt, sie ham auch gestanden. Die sind mit Herzfehler gelegen.»
«Am besten», sagte einer von den Simulanten, «läßt sich Wahnsinn simulieren. Von unserm Lehrkörper sind nebenan im Zimmer zwei, einer schreit fortwährend bei Tag und Nacht; ‹Der Scheiterhaufen Giordano Brunos raucht noch, erneuert den Prozeß Galileis! ›, und der zweite bellt, erst dreimal langsam: haf — haf — haf, dann fünfmal schnell nacheinander: hafhafhafhafhaf und wieder langsam und so gehts immerfort. Er hats schon über drei Wochen ausgehalten. Ich hab auch ursprünglich einen Narren machen wolln, hab religiösen Wahnsinn heucheln, von der Unfehlbarkeit des Papstes predigen wolln, aber zum Schluß hab ich mir von einem Raseur auf der Kleinseite für fünf zehn Kronen einen Magenkrebs besorgt.»
«Ich kenn einen Rauchfangkehrer in Brewnow», bemerkte ein anderer Patient,
«der macht euch für zehn Kronen so ein Fieber her, daß ihr aus dem Fenster springt.»
- Jaroslav Hašek, Die Abenteuer
des braven Soldaten Schwejk. Reinbek 1969 (zuerst 1923)
- Franz Jung, Der Weg nach unten. In: Franz Jung, Schriften, Bd. 1,
Salzhausen / Frankfurt am Main 1981
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