Silbernase  Es war einmal eine arme Wäscherin, die war Witwe und hatte drei Töchter. Alle vier gingen Wäsche waschen, aber sie konnten arbeiten, soviel sie mochten, sie litten doch Hunger dabei. Eines Tages sagte die größte von den Töchtern: »Ich will von daheim weg, und wenn ich gehen müßte, um dem Teufel zu dienen.«

»Sprich nicht so, Tochter«, sagte die Mutter, »du weißt nicht, was dir zustoßen könnte.«

Es vergingen nicht viele Tage, da stellte sich in ihrem Hause ein Herr ein, der war ganz schwarz gekleidet und hatte eine silberne Nase.

»Ich weiß, daß Ihr da drei Töchter habt«, sprach er zur Mutter, »wollt Ihr nicht eine davon in meinen Dienst geben? Ich will sie gut entlohnen.«

Die Mutter hätte sie sogleich gehen lassen, aber da war diese silberne Nase, die ihr nicht gefiel. Sie rief insgeheim ihre älteste Tochter und sagte:

»Paß auf! Hast du in dieser Welt je einen Menschen mit einer silbernen Nase gesehen? Nimm dich in acht, wenn du mit diesem mitgehst!«

Die Tochter, welche die Stunde nicht erwarten konnte, da sie von daheim weggehen durfte, reiste bald darauf mit dem Silber-nasigen ab. Sie gingen weit und noch weiter, über Berg und Tal, durch Wälder und Wüsten, und an einem Punkt, sehr weit von daheim weg, sah man ein Leuchten wie von einem großen Brand.

»Was ist denn das da drüben?« fragte das Mädchen, das etwas ängstlich wurde.

»Das ist mein Haus. Dorthin gehen wir«, entgegnete der Silbernasige.

Das Mädchen folgte ihm zaghaft, und es konnte sein Zittern nicht verbergen.

Sie kamen zu einem großen, großen Palast, und der Silbernasige zeigte ihr alle Zimmer, eines schöner als das andere. Und zu jedem Zimmer gab er ihr den dazu passenden Schlüssel. So kamen sie an die Türe des letzten Zimmers, auch dazu gab ihr der Silbernasige den Schlüssel, aber er sagte: »Diese Türe darfst du niemals und um keinen Preis öffnen, sonst wehe dir!«

»Und die andern Zimmer?«

»In allen anderen Zimmern bist du die Herrin und kannst machen, was du willst. Von diesem Zimmer hier aber nicht!« Das Mädchen dachte für sich: ›Da muß aber etwas Besonderes darinnen sein‹, und es beschloß bei sich, das Zimmer zu besuchen, sobald es allein sei.

Am Abend, nachdem es den Silbernasigen bedient hatte, ging das Mädchen in seine Kammer und schlummerte bald darauf ein. Als sie aber fest schlief, trat der Silbernasige heimlich ein, näherte sich ihrem Bett und steckte ihr eine Rose ins Haar; dann machte er sich wieder leise, leise davon. Am andern Morgen sagte der Silbernasige zum Mädchen: »Ich gehe jetzt meinen Geschäften nach. Sieh zu, daß du das Haus in Ordnung bringst, aber hüte dich, jenes Zimmer zu betreten!«

Kaum war er aus dem Hause, da hatte das Mädchen nichts Eiligeres zu tun, als zu dem verbotenen Zimmer zu laufen und die Türe aufzusperren. Als sie die Türe geöffnet hatte, sah sie Flammen und Rauch, und in dem Feuer brannten verdammte Seelen. - Italienische Volksmärchen. Hg. und Übs. Felix Karlinger. Düsseldorf u. Köln 1980  (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)

 

Nase

 

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