Sie (2)    Es ist ein überzeugender Standpunkt, den Pater Rapier hier vertritt, und das durchaus nicht ohne Augenblicke großer Eloquenz, Augenblicke, in welchen er selbst Zeichen seiner eigenen Rührung nicht zu verbergen vermag ... es ist nicht einmal nötig, ihn an seinem Amtssitz aufzusuchen, da sich die Besucher der Tagung von jedem beliebigen Ort aus in seine leidenschaftlichen Demonstrationen einschalten können, die sich oft mitten in der Zelebrierung dessen ereignen, was coole Humoristen hier bereits als «kritische Masse» titulieren (kapiert? '45 war diese Feinheit den meisten zu hoch, die Kosmische Bombe lag noch in ihren ersten Zügen, war ihrem Volk noch nicht geoffenbart, und der Begriff kam allenfalls mal in Gesprächen unter Schnellspannern zu Ohren). «Ich glaube, daß es in der Welt eine neue, furchtbare Möglichkeit gibt. Wir dürfen sie nicht einfach mit einer Handbewegung abtun, wir müssen ihr ins Auge sehen. Es besteht die Möglichkeit, daß SIE nicht sterben werden. Daß es jetzt durchaus im Bereich IHRER Kunstfertigkeit liegt, für immer weiterzumachen - während wir natürlich weiterhin sterben werden wie zuvor. Der Tod war die Quelle IHRER Macht. Das war für uns leicht genug zu erkennen. Wenn wir nur einmal hier sind, ein Mal und nichtmehr, dann doch eindeutig zu dem Zweck, uns zu nehmen, soviel wir können in der Zeit, die uns bleibt. Wenn SIE soviel mehr genommen haben, und das nicht nur von der Erde, sondern auch von uns, nun, weswegen sollten wir IHNEN das mißgönnen, wenn sie doch genauso zum Tod verdammt sind wie wir alle? Alle im selben Boot, alle unter dem gleichen Schatten... ja ... ja. Aber ist dem wirklich so? Oder handelt es sich hier vielleicht um die beste, die am sorgfältigsten propagierte von allen IHREN Lügen, den bekannten wie den unbekannten?

Wir müssen uns mit der Möglichkeit vertraut machen, daß wir ausschließlich deshalb sterben, weil SIE es so wollen: weil SIE unserer Angst bedürfen, um selbst zu überleben. Wir sind ihre Ernten ...

Für unseren Glauben muß das einen radikalen Umbruch mit sich bringen. Zu verlangen, daß wir uns weiterhin den Glauben an IHRE Sterblichkeit bewahren, den Glauben, daß auch SIE Tränen kennen und Angst und Schmerz, den Glauben, daß SIE nur vorsehen, den Tod zu beherrschen, den Glauben also an den Tod als unser aller Meister, bedeutet eine Kategorie von Mut zu fordern, von der ich weiß, daß sie jenseits meiner eigenen Menschlichkeit liegt - obwohl ich natürlich nicht für andere sprechen kann ... Könnten wir uns, statt einen solchen Sprung des Glaubens zu versuchen, nicht vielleicht viel eher entschließen, umzukehren und zu kämpfen? von jenen, für die wir sterben, unsere eigene Unsterblichkeit zu fordern? SIE mögen nicht mehr in den Betten sterben, aber vielleicht ist es immer noch möglich, SIE durch Gewalt zu töten? Und wenn nicht, so können wir doch zumindest lernen, unsere Angst vor dem Tod vor IHNEN zu verbergen. Für jeden Vampir gibt es ein Kreuz. Und wenigstens die materiellen Dinge, die SIE der Erde und uns geraubt haben, können niedergerissen und zerstört werden - dem zurückgegeben, woraus sie stammen.

Wenn wir annehmen, daß SIE als Personen sterblich sind, nehmen wir auch die Sterblichkeit IHRES Systems an - die Chance einer Erneuerung, einer Dialektik, die noch in der Geschichte wirkt. IHRE Sterblichkeit zu bekräftigen bedeutet, die Wiederkehr zu bekräftigen. Daß es dabei gewisse Hindernisse gibt, habe ich schon erwähnt ...»  - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei Hamburg 1981

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Die Anderen Paranoia

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