Sich selbst lesen  Im Palindrom schaffe ich künstlich und arbiträr »in nuce« (als Ausnahme) den »unbekleideten« Sprachzustand, den ich gerne als Modell ansehen möchte, in dem die physikalische Zeit (falls es sie gibt) mir sprachlich bewußt wird (falls es mich gibt): Text, der selber sich liest.

Ein Text der selber sich liest, liest sich selber in Leserichtung durch und in der anderen, die keine Leserichtung, ihm aber gleichwohl eigen ist, auf. Nur wenn diese andere Richtung, in der er sich selber aufliest (andere Lesart: auflöst), auch in der einen Leserichtung, die er durchliest, zum Tragen kommt, das durch ihn liest, hört er nicht auf, ein sich selber lesender Text zu sein, d. h. eine Stimme, die aufhört wo sie durchkommt und aufkommt wo sie sich durchhört, sondern trägt sich selber so glücklich fadenscheinig vor, daß jedes Ohr (das in Leserichtung, und das in der anderen) im Nachteil ist, denn auch sie gehören nur zum Text der selber sich liest.

Denn wahrscheinlich- funktionieren sprachliche Elementarteilchen dann und dort und deshalb, weil und wo und wenn sie willens sind, keine Zeit zu sein oder zu brauchen. So wie Linearität ja nur ein Wort für Zeitlichkeit ist, so ist mir die Unzeit der Kleinsteinheiten eine Hypothese für ihre zeitliche Anderswärtigkeit vor oder hinter dem Scharnier des Palindroms - ihre »Aufenthaltswahrscheinlichkeit«.

Ohne Sprache keine Zeit.   - Oskar Pastior, Nachwort zu (palin)

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