Sich sattreden   Ich wandte mich mit meinem Maulesel um und spornte ihn, so schnell ich konnte, bevor der andere mich einzuholen vermochte, ich sah ihm nämlich seine Krankheit an; um einem dieser Schwätzer zu entfliehen, möchte ich nicht bloß Windhundsbeine, sondern Taubenflügel haben; und wüßten sie, wie verhaßt sie allen ihren Hörern sind, entflöhen sie sich selber; denn abgesehen davon, daß Geschwätzigkeit ärgerlich und ermüdend ist, verrät sie leicht einen schwachen Verstand, klingt wie ein hohles Gefäß und beweist, daß der Betreffende nicht übermäßig klug ist; und bei den Leuten ist er so gut angeschrieben, daß man ihm, wenn er etwas sagt, nie glaubt; denn selbst für den Fall, daß es die Wahrheit ist, wird sie zwischen derart vielen Worten so plattgetreten, überschichtet und entstellt wie der Duft einer Rose zwischen vielen Rautenbüschen. Diese Schwätzer sind wie Farnkraut, das weder Blüte noch Frucht hervorbringt; sie sind ein Mühlenbach, der alle taub macht und immer weiter fließt. Kein losgelassener Stier auf der Hauptstraße macht mir solche Beine wie einer dieser Wortemacher; und kurz und gut, sie haben ihre beste Zeit, wenn sie schlafen, so wie es mir mit diesem widerfuhr; wie hurtig ich auch entfliehen wollte, er holte mich ein und grüßte mich von hinten wie der Henker; ich hatte ihm kaum erwidert, als er mich fragte, wohin ich ging und woher ich kam.

Auf das erste gab ich ihm eine Antwort, doch bei dem zweiten ließ er mir zum Antworten keine Zeit, fuhr fort und sprach zu mir: »Ich frage, woher Ew. Gnaden stammen, weil ich aus dem Königreich Murcia bin, obgleich meine Eltern Gebirgler waren, und zwar aus einem Geschlechte, welches >Schwäger< heißt.« Wenigstens nicht>Schweiger<; ich schaute ihn an, während er sich sattredete - sofern das möglich war - er war nämlich von annehmbarer Gestalt und Wuchs, obgleich er einen großen Mangel hatte: er war ein Linkshänder, wollte aber als ein Rechtshänder erscheinen. Obgleich ein Linkshänder sehr häßlich ist, halte ich jemanden, der seinen natürlichen Mangel verhehlt oder verhehlen möchte, für häßlicher, weil so etwas für Doppelzüngigkeit und Verstellung im innersten Wesen spricht; und obgleich man diese Art von Menschen an diesem Mangel ebenso erkennt wie die Eunuchen am fehlenden Bart, möchten sie uns ebenso überzeugen, daß sie's nicht sind, wie jene, daß sie noch zu jung sind, einen Bart zu haben, und gerade dadurch, daß die einen wie die anderen es verleugnen oder verhehlen wollen, lassen sie erkennen, ein wie großer Fehler es ist, denn sie verleugnen ihn.

Dieser gute Mann fuchtelte mit beiden Händen und wölbte seine großen Brauen, zwischen denen zwei tiefe Falten lagen; seine Augen waren zwar nicht klein, doch hatte er sie stets geschlossen, wenn er sprach, als wären die Augen zum Hören da, sein ganzes Gesicht aber wirkte affig, ich meine frech, hochmütig, und unverschämt; er sagte tausend ungereimte Sachen, bei denen ich niemals zuhörte, weil ich ihn alsbald erkannte. Er erzählte eigene Heldentaten  (bei denen ich ebenso aufmerksam zuhörte wie bei all den übrigen Dingen) und gab mir niemals Gelegenheit, ihm auf dasjenige zu antworten, wonach er mich fragte, bis er nach zwei Meilen infolge seines vielen Redens die Feuchtigkeit im. Hirne, auf den Lippen und auf der Zunge verbraucht hatte und in einer Schänke, die »Zum Strebepfeiler« heißt, nach einem Kruge Wassers verlangte; sobald er aber anfing zu trinken, erwiderte ich ihm auf seine Frage und sprach: »Aus Ronda.« Er setzte den Krug vom Munde ab und sprach zu mir: »Ich treue mich, daß ich so gute Gesellschaft habe, ich gehe nämlich ebenfalls dorthin.« Er setzte den Krug wieder an die Lippen, und ehe er mit dem Trinken fertig war, sprach ich zu ihm: »Im Gegenteil, es ist die schlechteste Gesellschaft von der Welt, ich werde nämlich auf dem ganzen Wege kein Wort reden.« »Ew. Gnaden besitzen die herrliche Tugend des Schweigens?«, sprach er. »Gewiß sind Sie klug und bei aller Welt geschätzt, denn daran, daß sie wenig reden, erkennt man die Klugheit der Weisen, ist doch Schweigen eine Tugend, mit der ein Mensch sich vor den Schäden schützt, die seinetwegen eintreten können. Ich bin kein Freund von Reden: falls jemand, wenn man ihn foltert, nicht reden oder gestehen will, hält man ihn für einen tapferen Mann, weil er geschwiegen hat, obgleich es ihm schaden mußte. Bei einem Bankette essen die Verschwiegenen mehr und besser als die anderen und reden weniger, denn ein Schaf, das blökt, läßt einen Bissen fahren, obgleich ich selber kein Freund von Reden bin. Der Schlaf, der für Gesundheit und Leben so wichtig ist, ist nur möglich, wenn man schweigt. Wenn sich jemand, wie es zu geschehen pflegt, in einem fremden Haus verbirgt, dann rettet er sich durch Schweigen, mag ihm auch ein Niesen entfahren. Schweigen ist eine Tugend, die keine Mühe kostet, man braucht sich nicht an Büchern müde zu lesen, wenn man schweigen möchte. Wer schweigt, bemerkt, was andere reden, und kann es ihnen später ins Gesicht sagen. Ich bin kein Freund von Reden.«  - Vicente Espinel, Das Leben des Schildknappen Marcos von Obrégon. In: Spanische Schelmenromane, Hd. Horst Baader. München 1965

Reden Sattheit

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