Sich bekreuzigen  Ich hörte ein Rascheln und sah etwas, das einem kleinen schwarzen Ziegenbock ähnlich war, nur die langen, breiten Hörner auswärtsgerichtet statt rückwärts gekrümmt; es stand auf den Hinterfüßen am Rand der Mauer und schaute auf mich herab. Der Atem stockte mir, und ich konnte mich fast eine Minute lang nicht bewegen. Ich mußte, wie es auch zuging, meine Augen unverwandt dahin richten, aber es schaute immer starr auf mich herab. Endlich nahm ich mich zusammen und ging fort, aber ich hatte noch keine zehn Schritte getan, als ich dieselbe Erscheinung auf der Mauer zu meiner Linken erblickte, genau in derselben Stellung, nur noch drei- oder viermal so hoch und beinahe so groß wie der größte Mann. Die Hörner sahen schrecklich aus, es starrte mich an wie dort. Meine Beine zitterten, die Zähne schnatterten, und ich glaubte jeden Augenblick, ich würde tot hinfallen. Endlich war es mir, als wäre ich gezwungen zu gehen, und ich ging wirklich fort, aber ich fühlte nicht, wie ich mich bewegte oder wie meine Beine mich trugen. Eben als ich an der Stelle vorbeikam, wo das entsetzliche Wesen stand, hörte ich ein Geräusch, als ob etwas die Mauer herabspränge und hatte ein Gefühl, als wenn ein schweres Tier auf mich stürzte, das mit den Vorderfußen mich fest um die Schultern packend die Hinterfüße in meinen faltigen, zusammengesteckten Rock verwickelte. Ich wundere mich heute noch, wie ich die heftige Erschütterung ertragen habe, aber ich fiel weder noch schwankte ich bei der Wucht, sondern ging darauf los, als hätte ich die Stärke von zehn Männern; jedoch fühlte ich, daß ich gezwungen war, mich fortzubewegen und nicht die Macht hatte stillzustehen, wie ich es wünschte. Doch ich keuchte ängstlich, ich wußte was ich tat, so deutlich wie ich es in diesem Augenblick weiß; ich versuchte zu schreien, doch ich konnte es nicht, versuchte zu laufen, aber es war nicht möglich, versuchte rückwärts zu schauen, aber Kopf und Nacken waren wie in einen Schraubstock gespannt. Ich konnte nur meine Augen nach beiden Seiten hindrehen, und dann erblickte ich so klar und deutlich, als wäre es in vollem Licht der lieben Sonne, einen schwarzen und gespaltenen Fuß fest auf meine Schulter gelegt. Ich hörte ein leises Atmen in meinem Ohr, ich fühlte, daß bei jedem Schritt, den ich tat, meine Beine an die Füße jenes Wesens stießen, das auf meinem Rücken hing.

Endlich sah ich das Haus, und es war mir ein willkommener Anblick, denn ich dachte, ich würde erlöst sein, wenn ich es erreichte. Ich kam bald vor die Türe, doch sie war verschlossen. Ich schaute nach dem kleinen Fenster hin, aber es war ebenfalls geschlossen, die anderen Hausbewohner waren an einem solchen Abend vorsichtiger als ich; ich sah drinnen das Licht. Es drang durch die Spalten der Türe, ich hörte Menschen im Haus reden und lachen. Nur drei Ellen war ich von meinen Verwandten entfernt, die alles getan haben würden, um mich zu retten. Möge Gott mich davor bewahren, noch einmal so zu leiden wie ich in jener Nacht gelitten habe! Etwas Fürchterliches hielt mich fest. Ich war unfähig, mir selbst zu helfen, meine Freunde anzurufen oder meine Hand auszustrecken. Ich konnte weder klopfen noch auch nur meinen Fuß heben, um an die Türe zu stoßen und sie wissen zu lassen, daß ich draußen stand. Es war, als ob meine Hände am Leib festklebten, als ob meine Füße an den Boden geheftet wären und als liege das Gewicht eines Felsens auf ihnen. Endlich kam mir der Gedanke, mich zu bekreuzigen, und meine rechte Hand, die sonst nichts tat, tat es für mich. Die Last blieb auf meinem Rücken, keine Veränderung trat ein. Ich bekreuzigte mich abermals, es blieb wie es gewesen war. Ich gab mich verloren, doch ich bekreuzigte mich zum dritten Mal, und kaum hatte meine Hand das Zeichen ausgeführt, als ich spürte, wie die Last von meinem Rücken sprang. Die Tür fuhr auf, als hätte der Blitz in sie eingeschlagen, ich stürzte vorwärts, fiel mit der Stirne voran auf die Dielen. Als ich wieder aufstand, war mein Rücken krumm. Von jener Nacht an bis zu dieser Stunde konnte ich mich nicht wieder aufrichten.   - (anders)

 

Gegenzauber Kreuz

 

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