eßhaftigkeit  Wenn ich die Mittel zum Reisen hätte, ohne wegen Arbeit und Lebensunterhalt an einem bestimmten Ort leben zu müssen, würde man mich keine zwei Monate am selben Platz finden. Die Welt ist sehr groß und voll herrlicher Länder, das Dasein von tausend Menschen würde nicht genügen, um sie alle zu besuchen. Aber andererseits möchte ich nicht im Elend herumvagabundieren. Ich möchte ein paar tausend Franken Rente haben und das Jahr in zwei oder drei verschiedenen Ländern verbringen können, bei einem bescheidenen Leben und mit ein paar kleinen Geschäften, die ich machen würde, um meine Kosten zu decken. Aber ständig am selben Ort zu leben werde ich immer sehr jämmerlich finden. Zuletzt ist es am wahrscheinlichsten, daß man eher hinkommt, wo man nicht hin will, und eher tut, was man nicht möchte, und daß man ganz anders lebt und stirbt, als man jemals wollte, ohne Hoffnung auf irgendeine Art von Ausgleich. - Rimbaud an die Familie, nach: Arthur Rimbaud, Briefe Dokumente. Hg. Curd Ochwadt. Reinbek b. Hamburg 1964 (Rowohlts Klassiker 155/156)

Seßhaftigkeit (2)  Wer von der Arbeit am Meer zur Arbeit an der Scholle wechselt, erniedrigt sich unweigerlich: es gibt wahrscheinlich kein Volk, bei dem dieser Niedergang nicht im Lied oder in der Sage Ausdruck findet — und auch die Tiere sind nicht ausgenommen: wenn man diese wunderbaren Flugwesen knapp über die Hecken gleiten und sie, die doch so weiß sind, auf dem nassen Lehm hüpfen sieht, so erscheint der Verlust an Adel, den der Mensch der Welt, die er besudelt, auferlegt, ganz offensichtlich: diese schneeigen Gefieder der Möwen, die im Tauwetterschlamm herumstaksten, waren für das Auge so ernüchternd wie seßhaft gewordene Nomaden. - (grac2)

Seßhaftigkeit (3)   Alle Gelüste zum Herumstromern hatte er wahrhaft heldisch unterdrückt. Auch er war ganz nahe am großen Leuchtturm geboren.. Nach dem Tode des Vaters, der Gymnasiallehrer war, hatte er sich in das Eichamt gestürzt, das war eine Dauerstellung. Um noch sicherer zu sein, hatte er ein Fräulein aus der ‹Statistik› geheiratet. Aber manchmal plagte ihn doch das Fernweh... Der Wind saß ihm noch im Leibe, er fühlte sich nicht genug vergraben, er hielt sich immer kürzer.

Er und seine Frau besuchten uns zu Neujahr. Sie sparten so sehr, sie aßen so schlecht, sie redeten mit niemand, so daß man sich am Tag, an dem sie eingingen, in der Nachbarschaft ihrer nicht mehr erinnerte. Es war eine Überraschung. Er endete an Krebs, sie an Enthaltsamkeit.

Man fand die Frau, die Blanche, im Parc Buttes-Chaumont. Dort pflegten sie alle ihre Ferien zu verbringen. Sie hatten immerhin vierzig Jahre mit vereinten Kräften dazu gebraucht, sich selber zu ermorden.  - (tod)

 

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