Sertão  Von hier oben erblicke ich das dreifache Antlitz des Sertão: Paradies, Fegefeuer und Hölle. Gen Westen, fern und bläulich durch die Entfernung, das Pico-Gebirge mit dem gewaltigen, riesigen Stein, der ihm den Namen gibt. In der Nähe, im trockenen Flußbett des Taperoá, dessen Sand voll zerstückelter Kristalle ist, die in der Sonne funkeln, stehen große Kaschu-Bäume mit ihren roten und goldfarbenen Früchten. Auf der anderen Seite, gen Osten, zur Straße von Campina Grande und Estaca-Zero hin, sehe ich einzelne wilde Teilstücke des sandigen, von trockenen Quittenbäumen und Feigenkakteen bedeckten Hochlands. Gen Norden hin schließlich erblicke ich Steine, Felsplatten und Hügel, die unsere Kleinstadt umgeben und ihrerseits von dornigen Geiernesselbäumen und Brennesseln umschlossen werden; sie wirken wie gewaltige graue, giftige, schwarz und rostgefleckte, schlafend in der Sonne ausgestreckte Eidechsen, bei denen Kobras, Sperber und andere mit der Grausamkeit des Weltenjaguars verbundene Raubtiere Zuflucht suchen.   - (stein)

Sertão (2)  Daß es im Norden gatos valentes, tapfere Katzen, geben sollte, die aus einer Kreuzung von Hauskatzen mit Jaguaren hervorgegangen sind, konnte mich nicht so recht überzeugen. Aber vielleicht ist jene andere Geschichte, die man mir erzählte, lehrreich, wenn auch nur insofern, als sie etwas vom Stil, vom Geist des sertão vermittelt: In Barra dos Burges, einer Ortschaft im westlichen Mato Grosso am oberen Paraguay, lebte ein curandeiro, ein Wunderdoktor, der Schlangenbisse heilte. Zuerst ritzte er den Vorderarm des Kranken mit Zähnen der sucuxi, der Boa-Schlange; dann zeichnete er mit Gewehrpulver ein Kreuz auf den Boden, zündete es an, und der Kranke mußte seinen Arm über den Rauch halten. Schließlich nahm er die ausgeglühte Baumwolle eines artifiao (eines Holzfeuerzeugs, dessen Zunder aus m einen hornförmigen Behälter gestopfter Zupfleinwand besteht), tränkte sie mit cachaca, und der Kranke saugte daran. Schluß der Behandlung.

Eines Tages bittet der Anführer einer turma de poaieros (Leute, die ipecacuanha sammeln, eine Heilpflanze), der einer solchen Kur beiwohnt, den Wunderdoktor, bis zum folgenden Sonntag auf die Ankunft seiner Leute zu warten, die sich bestimmt alle impfen lassen wollten (jeder für fünf Milreis, etwa fünf Francs zum Kurs von 1938). Der curandeiro ist einverstanden. Am Samstagmorgen hört man außerhalb des barraçao (der kollektiven Hütte) einen Hund heulen. Der Anführer der turma schickt einen camarada als Kundschafter aus: es ist eine cascavel, eine wütende Klapperschlange. Er befiehlt dem Medizinmann, das Reptil zu fangen; dieser weigert sich. Der Anführer wird zornig und erklärt, wenn sie nicht gefangen werde, würde er seine Leute nicht impfen lassen. Der curandeiro gibt nach, streckt die Hand nach der Schlange aus, wird gebissen und stirbt. Der Erzähler dieser Geschichte erklärt mir, daß auch er von dem curandeiro geimpft worden sei und sich dann von einer Schlange habe beißen lassen, um die Wirksamkeit der Behandlung auszuprobieren - mit großem Erfolg. Allerdings, so fügt er hinzu, sei die Schlange nicht giftig gewesen.   - (str2)

 

Brasilien

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme