Sertão-Messianismus   »Ich habe den ,Ewigen Mondkalender' und den ,Chernoviz' gelesen und kenne auch das Tarockspiel, mit dem man das Schicksal voraussagen kann; ich kenne also recht geheimnisvolle, tüftelige Dinge, mit denen sich etwas anfangen läßt. Zum Beispiel weiß ich aus sicherer Quelle, daß sie am Stein des Reiches von neuem unseren Prinzen getötet haben, der im Heiligtum eingesperrt und durch Zauber verborgen war. Das Flugblatt, das unser Quaderna über den Fall publiziert hat, klärt alles auf: diesmal waren es die Pereiras, die Familie von Sinhó Pereira. Ich weiß nicht, ob Eure Herrlichkeiten Sinhó Pereira gekannt haben, aber Quaderna und ich haben ihn gekannt: es war ein Mann aus einer angesehenen Familie, ein starker Mann, tapfer wie ein Jaguar und so wild wie eine Schlange. Sein Name war ein geheiligter Name, denn er hieß Dom Sebastião Pereira. Deshalb haben die Pereiras, auf die Kraft seines Namens gestützt, vermocht, die vier Kaiser vom Stein des Reiches zu besiegen. Und wissen Sie, wer Sinhó Pereiras Vater war? Das war der Baron von Pajeú! Der Baron hatte eheliche Söhne wie Sinhó und einen Hurensohn, den er mit einer Zigeunerin gezeugt hatte, den Zigeuner Pereira. Dieser Haufen Leute hat am Stein des Reiches einen Mordsskandal veranstaltet. Sie haben die verzauberten Türme entweiht und, ,um das Blut zu besiegen, die Erde mit Blut gedüngt'. - Das Blut blieb rot und tränkte den Staub und wurde von der Sonne verbrannt. Dort ist unser Prinz erneut gestorben. Aber er ist abermals wiederauferstanden, im Imperium vom Schönen Berge von Canudos im Jahre 1897 zur Zeit der Herr schaft unseres Dom Pedro III., bekannter als Pedro Justin Quaderna, dem Vater unseres Dom Pedro IV. Deshalb hat unser heiliger Conselheiro auf dem Schönen Berge von Canudos gesagt: ,Wer wüßte nicht, daß der würdige Fürst, Herr Dom Pedro III., legitim von Gott verliehene Macht besitzt, um Brasilien zu regieren?' Die Leute glaubten, er rede von dem Sohn von Dom Pedro II., aber wie konnte das zugehen, wo Dom Pedro II. doch keine Söhne hatte? Es ist klar: Conselheiro hat von unserem Dom Pedro Justino Quaderna gesprochen, denn im Reich gehen die Dinge immer so zu: da sitzt ein brauner König auf seinem Fuchs und dient als Prophet und Postament für den Erbprinzen vom Schimmel. Tatsache ist, daß dort in Canudos dieser vermaledeite Krieg war, dieses Troja, bei dem die ganze Polizei und das Heer aller Türkenreiche der Welt gegen das geheiligte Imperium vom Schönen Berge kämpften. Um abzulenken, haben sie gesagt, sie hätten nur Wut im Bauch gegen die Leute, die im Kriege kämpften. Aber das war Lüge. Diese Kruzitürken kämpften nicht gegen Conselheiro, nicht gegen Pajeü, nicht gegen Pedräo und nicht gegen Major Sariema, auch nicht gegen irgendeinen der Anführer von Canudos. Dieser ganze Krieg brach aus, weil die Türkenregierung vor unserem Erbprinzen, dem Erbprinzen des Volkes, Angst hatte. Jawohl, denn er war dort wie immer im Heiligtum eingesperrt. Die Außenstehenden sahen in ihrer Blindheit nur den, der sich blicken ließ, den Enthüllten, unseren heiligen Pilger Antônio Conselheiro. Aber hier steht unser Quaderna, der Urenkel der Kaiser vom Stein des Reiches, der viel besser darüber Bescheid weiß als ich. Conselheiro hat nur die Befehle des Erbprinzen ausgeführt, der verborgen und verhüllt im Heiligtum leben mußte, hinter einem Schleier, den Sonne, Mond und Sterne stickten. Da ahnten die Gegner die Gefahr und schickten einen Herodes dorthin, den Halsabschneider, der Kaiser von Rom gewesen war, den Obersten Moreira Cesar, den gleichen Cäsar, der Befehl gegeben hatte, daß die Jaguare die Christen im Zirkus von Rom auffressen sollten. In seinem Rom hatte er auch St. Sebastian töten lassen. Da sieht man dann den Grund für ihre Angst: St. Sebastian ist nämlich St. Georg selber, der auf einem Schimmel reitet und den Drachen tötet, und das ist der gleiche Dom Sebastian, der den braunen Jaguar und das weiße Schwein umbringt, das aus dem Ausland kommt. Und das wiederum ist Dom Pedro Sebastião, der Vater von Dom Sinesio Sebastiäo, der enthauptet worden ist. Sie alle sind nur eine einzige Person, der Jaguar der Auferstehung. Und deshalb hat am Stein des Reiches unser König Dom Johann Ferreira-Quaderna gelehrt, daß man außer den Frauen und den Kindern auch die Hunde köpfen müsse, weil sie dann unter dem Befehl des Jaguars wiederauferstehen würden, um mit den Unterdrückern des Volkes aufzuräumen.

Da hat die Regierung erraten, daß unser Prinz abermals am Leben war, und sie haben Oberst Cesar, den Kaiser von Rom, hergeschickt, um den Krieg des Reiches zu beenden, den das Sertäo-Volk schon im Begriff war zu gewinnen, indem es das ganze vornehme Gesocks in die Pfanne haute. Sicher ist, daß sie hier von neuem unseren Prinzen getötet haben. Aber dann waren wieder wir an der Reihe, wir und das alte Cariri der Steinhölle. Und es erschien unser alter König, Dom Pedro Sebastiäo, und er ließ unseren Dom Pedro III. bei sich wohnen. Und Dom Pedro Justino heiratete Dona Maria Sulpicia, und da kam unser Dinis auf die Welt, unser Dom Pedro IV. Und alles wartet auf die Geburt des Erbprinzen, denn wie Dom Pedro III. im ,Almanach von Cariri' erklärt hatte, war Dom Pedro Sebastião Garcia-Barretto Dom Sebastian vom Stein des Reiches in Person, es war derselbe, der das Wildschwein in Afrika tötete, um den Jaguar zu befreien.

Zunächst kam unser erster Fürst auf die Welt, Arésio, der gegen das Volk war. Da mußte dann der alte König andere Frauen schwängern, um zu sehen, ob der Ersehnte nicht doch auf die Welt käme. Er schwängerte Maria Allewelt, und da kam der wiederauferstandene Silvestre zur Welt, Meister Quiou der Gesandte, der Prophet aus dem Rodeador-Gebirge. Da heiratete Dom Pedro Sebastião Joana, die Tochter von Dom Pedro III., weil unser Erbprinz das Blut der Familie Quaderna vom Stein des Reiches haben mußte. All das ist im ,Almanach' nach und nach erklärt worden. Und gegen 1910 kam unser Erbprinz auf die Welt, kam aus der Sonne, auf einem Flügelpferd und von einem Kometen getragen. Das war endlich unser Dom Sinesio Sebastião, der Sohn von St. Sebastian - der Heilige auf dem Schimmel. Und da begann erneut das Ungewitter vom Krieg des Reiches. Zuerst im Jahre 1912 mit dem ,Zwölfer-Krieg' und unserem König Dom Pedro Sebastiäo, der auf einem Fuchs ritt, mit dem Neger Vicente, mit Herrn Hino, Germano, Severino ,Mütterchen' und der ganzen Cangaceiro-Mischpoke. Und es kam der Krieg des hl. Paters von Juäzeiro im Jahre 1913 und der Krieg der Expedition im Jahre 1926, mit Luis Carlos Prestes und der Leibwache der Zwölf, die aus dem anderen Krieg übriggeblieben war. Und dann folgte 1930 der Dreißiger-Krieg, der ,Krieg um Princesa', und die Regierung witterte von neuem die Gefahr. Sie wußte, daß das Volk hinter dem Fuchs des Königs und dem Schimmel des Prinzen am Ende den Streit gewinnen würde. Und um das zu verhindern, haben sie unseren König Dom Pedro Sebastião vom Scharfrichter von Rom aus Canudos, diesem Unglücksmenschen, enthaupten lassen. Am gleichen Tage haben sie seinen Sohn, den heiligen makellosen Jüngling, den Volksfürsten, entführt. Sie begruben den Unglücklichen mit einer langen Kette am Fuß in der fernen Türkei am Ende der Welt, drei Tagereisen in Richtung Hurenhölle. Dort haben sie in einem Loch unter der Erde den Prinzen Hungers sterben lassen, um zu sehen, ob er so ein für allemal begraben würde und nie wieder auferstünde. Und er ist wirklich gestorben, der Ärmste, an Hunger und Verzweiflung, ohne Vater, ohne Mutter, ohne jemanden, der strafend für ihn eingetreten wäre: Mißhandlungen und Schuftereien erduldend, ohne einen Fluch über seine Lippen zu bringen gegen diese schurkischen Menschen. Aber die ganze Gemeinheit hat nichts gefruchtet: denn sobald die Frist von einem Jahr und einem Tag verstrichen war, ist unser Prinz auferstanden und wieder erschienen, und Bruder Simão hat ihn auf der Landstraße gefunden. Er war in eine weiße Tunika gekleidet, und ein Strick diente ihm als Gürtel, und er trug zwei Blumen in der Hand, eine gelbe Ipe-Blüte und eine rote Korallenblume: Gold und Blut! Er hatte das Gedächtnis verloren, weil er so viel gelitten hatte, aber Bruder Simão und Dr. Pedro haben ihm alles wieder beigebracht..Er hat den Schimmel bestiegen und ist nach Cariri zurückgekehrt, um das Glück des Sertão-Volkes zu machen. Wie ist er erschienen, wie ist er von neuem aus der Erde herausgekommen? Niemand weiß das. Man weiß nur, daß er erschienen ist und heute hier Einzug gehalten hat, weil Dom Sinésio der Strahlende, der Prinz vom Banner des Heiligen Geistes, der Sohn von Sankt Sebastian, König von Brasilien und vom Stein des Sertão-Reiches ist.«   - (stein)

 

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