elbstwertgefühl  Einmal verbrachte der große Bugli bei einer der Orgien die Nacht mit der Gattin des Chefarztes seiner Abteilung, einer üppigen, sinnlichen Frau. Aber als er beim Morgengrauen aus dem Haus ging, hörte er seine Schritte in der Leere widerhallen. Da kamen ihm merkwürdige Gedanken, die er einem anderen Krankenpfleger, namens Brizzi, auf der Stelle mit folgenden Worten mitteilte: »Ich verstehe eines nicht, Brizzi. Jedesmal, wenn ich eine Frau haben kann, meine ich, ich bin etwas Besonderes. Dann sehe ich zwar in ihr nichts anderes als ein Stück rohes Fleisch, aber ich komme mir ja nur deshalb als etwas Besonderes vor, weil ich die Frau haben kann. Was soll denn das heißen?« Der Krankenpfleger Brizzi, der ihn verstanden zu haben glaubte, antwortete ihm mit folgenden Worten: »Deinen Spaß hast du doch dran, oder? Wo man seinen Spaß hat, da gibt's keinen Verlust.«

Das war der Wahlspruch der vier Krankenpfleger, der den Zweck hatte, jegliche Diskussion zu beenden. Aber während sie durch die leeren Straßen gingen, hatte Bugli immer noch jene merkwürdigen Gedanken, und er sagte folgendes: »Wenn man sich's überlegt, dann bin ich wirklich nichts Besonderes. Was zählt es dann, ob ich die Frau vom Chefarzt haben kann oder nicht? Das ist vollkommen egal. Ich glaube eigentlich, daß ich das, was ich mache, nur mache, damit ich glauben kann, ich bin etwas Besonderes, ein Mannsbild von der besten Sorte. Ich mache es, um mich wirklich für den großen Bugli zu halten, und nicht für ein Nichts, wie die anderen.« Der Krankenpfleger Brizzi, der glaubte, ihn verstanden zu haben, gab ihm recht: »Na klar, ich amüsiere mich mit den Frauen auch, damit ich mich ein wenig mehr auf Draht fühle, was soll ich denn sonst tun?«

An dieser Stelle schaltete sich ein dritter Krankenpfleger ein, der ihre Reden verfolgt hatte, und er sagte folgendes: »Aber was plagt ihr denn euer Hirn mit solchen Dummheiten? Eine Frau beißt an, du hast deinen Genuß, dann erzählst du's den anderen, und die anderen halten dich für einen besonderen Typ. Und du hast deine Befriedigung, oder? Was wollt ihr denn mehr?«   - Gianni Celati, Der Lahme in der Wüste. In: G. C., Cinema naturale. Berlin 2001