elbstversuch Stetter
verschränkt die Arme vor seinem weinroten Pullover und erzählt zur Abwechslung
mal vonl einem eher gewöhnlichen Lebewesen: dem "Lactobacillus bavaricus". Die
Gewinnung der bayerischen Bazille ließ er sich in den 70er Jahren patentieren,
nachdem er den Stamm in Reinkultur gezüchtet hatte. Mit dem Lactobacillus, einem
besonders bekömmlichen Milchsäurebakterium. konserviert eine Firma heute Lebensmittel. "Das gibt ein wunderbares Sauerkraut,
das Sie im Reformhaus kaufen können." Stetter aß das Sauerkraut samt Lactobazillus
damals als Erster. Gleich ein gutes Pfund. "So ein Selbstversuch muss schließlich
sein". - Thomas de Padova, Tagesspiegel v. 19.12.2002
Selbstversuch (2) Brown-Séquard war kein Phantast, sondern ein gewissenhafter Forscher, auch wo es um ihn selber ging. Er maß die vermehrte Muskelkraft mit einem Dynamometer, einer Metallfeder, die mit der Hand zusammengedrückt wird, notierte seinen Urinstrahl vor und nach Injektionen bei gleich großer Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr und führte Buch über seinen Stuhlgang. Seine geistige Aktivität nahm zu, er konnte stundenlang ohne Pause im Labor arbeiten sowie Treppen hinauf- und hinunterrennen. Er fühlte sich wie Sechzig dank der acht subkutanen Injektionen von Hodenextrakten. Dafür nahm er Hoden von Hunden oder Meerschweinchen samt Blut und Sperma, Samensträngen und Nebenhoden und zerrieb sie in einer Glyzerinlösung. Diese ließ er einen halben Tag stehen, gab destilliertes Wasser dazu und filtrierte das Ganze. Das einem Viertel Hoden entsprechende Filtrat injizierte er sich schließlich subkutan.
Er hatte sich dem Experiment in der Überzeugung unterzogen, daß sich dadurch
die Funktion des zentralen Nervensystems und des Rückenmarks verbessern ließe.
Letzteres schien angesichts der vermehrten Blasen- und Darmtätigkeit auch der
Fall zu sein. Er glaubte an die Rolle der Hoden für die Lebenskraft des Menschen
und verwies auf die Folgen funktionsbeeinträchtigter oder funktionsunfähiger
Hoden bei Eunuchen, alten Männern sowie bei großem Samenverlust infolge von
Masturbation oder exzessivem Geschlechtsverkehr. Er hatte auch schon vorgeschlagen,
alte Männer mit Injektionen männlichen Samens wieder vital zu machen. Bei aller
Offenherzigkeit war er jedoch ein echter Viktorianer, der sich über die Auswirkungen
seiner Entdeckung auf das eigene Geschlechtsleben ausschwieg. - A. J. Dunning,
Extreme.
Betrachtungen zum menschlichen Verhalten. Frankfurt am Main 1992
Selbstversuch (3)
Selbstversuch
(4) Vom Distriktstierarzt erbat ich mir eine große
Flasche Chloroform. Es war das einzige Betäubungsmittel,
von dem ich damals wußte. Ich sagte ihm, ich wolle es als Lösungsmittel gebrauchen.
Er gab mir die Ölige Flüssigkeit. An den Abenden, in schweren Stunden, träufelte
ich mir davon auf einen Wattebausch. Sog den süßlichen erstickenden Dunst ein,
bis mir die Gegenwart versank. Die Gefühle und Taten meiner jungen Mannbarkeit
wurden in die Bezirke des Unverantwortlichen gerückt. Der Tumult ihrer Forderungen
zerlöste sich in der halben Narkose, die mich abtrennte von diesem Leib; der
mich in so große Fährnisse getrieben. Ich machte Versuche mit mir, welche Funktion
meines Ichs sich länger gegen die Pest in meinen Lungen verteidigen konnte,
das Schmerzgefühl oder das Bewußtsein. Das Bewußtsein war mächtiger. Ich konnte
mir Schnittwunden beibringen ; ich fühlte sie nicht mehr. Ich war daran, sehr
tief zu gleiten, angespült zu werden an übermächtige Krankheiten. Da kam der
Nebel herab über meine Vergangenheit. Es blieb nur die Erkenntnis zurück, daß
Same in mir, dessen Sitz ich beschreiben und vernichten konnte, wenn der Ekel
über mich selbst grenzenlos werden sollte. - Hans Henny Jahnn, Perrudja. Frankfurt am Main
1966 (zuerst 1929)
Selbstversuch
(5) Der Versuch, sich selbst durch physische Mittel
in einem Zustande, welcher der Verrückung nahe
kommt, und in den man sich willkürlich versetzt, zu beobachten, um durch diese
Beobachtung auch den unwillkürlichen besser einzusehen, hat Vernunft genug,
den Ursachen der Erscheinungen nachzuforschen. Aber es ist gefährlich, mit dem
Gemüt Experimente, und es in gewissem Grade krank zu machen, um es zu beobachten,
und durch Erscheinungen, die sich da vorfinden möchten, seine Natur zu erforschen.
- So will Helmont, nach Einnehmung einer gewissen Dosis Napell (einer
Giftwurzel), eine Empfindung wahrgenommen haben, als ob er im Magen dächte.
Ein anderer Arzt vergrößerte nach und nach die Gabe Kampfer, bis es ihm vorkam,
als ob alles auf der Straße in großem Tumult wäre. Mehrere haben mit dem Opium
so lange an sich experimentiert, bis sie in Gemütsschwäche fielen, wenn sie
nachließen, dieses Hülfsmittel der Gedankenbelebung ferner zu gebrauchen. -
Ein gekünstelter Wahnsinn könnte leicht ein wahrer werden. - Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer
Hinsicht (zuerst 1798/1800)
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