Selbstkreuzigung   Nachdem er in Venedig bei mehreren Meistern gearbeitet und sich überall ruhig und zu deren Zufriedenheit betragen, mietete er sich, um seinem Meister Lorenzo della Mora näher zu sein, in der Strasse della Monacha eine Kammer in der dritten Etage. Kaum aber war er hier eingemietet und durch sein stilles, verständiges Wesen seinem Wirte lieb geworden, als man ihn oben in seiner verschlossenen Kammer hämmern, sägen und nageln hörte. Er war abermals auf seine Kreuzigungsgedanken zurückgekommen und arbeitete Tag und Nacht daran, sich ein Kreuz zu seinem Martyrium zu bereiten.

Nicht ohne Mühe hatte er sich alle Dinge, welche dazu gehören, verschafft, und nicht ohne erfinderischen Scharfsinn ging er dabei zu Werke. Schon besass er Alles, was notwendig war, die Stricke, Nägel und die Dornenkrone. Das Kruzifix war aus zwei massigen Baumstämmen zusammengepflockt. Die doppelten Querhölzer wurden, zu mehren Haltens, noch durch zwei spitzige Querhölzer an den Stamm befestigt. Aber da er an die Möglichkeit dachte, dass er sich nicht fest genug an das Kreuz nageln und der Gefahr ausgesetzt sein könne, herunter zu fallen, so webte er sich vorsorglich ein grosses Netz, welches, um das Kreuz gespannt, ihn aufhalten sollte. Er schnürte es unten an der horizontalen Kreuzstange fest zusammen, unterhalb der Knagge, auf der seine Füsse ruhen sollten; dann ging es allmählig auseinander, und war oben — das Ganze etwa in Gestalt einer geöffneten Börse — an die beiden Enden der Querstange befestigt.

Das Kreuz, an dem er hing, sollte diesmal selbst frei in der Strasse hängen. Es kostete diese Operation die grössten Vorbereitungen und Berechnungen. Denn an das schon hinausgehängte Kreuz konnte er sich nicht nageln; wenn er sich aber an das in seiner Kammer fertig liegende Kreuz so genagelt hatte, wie er beabsichtigte, war die Schwierigkeit nicht gering, sich und das Kreuz ohne Beihülfe eines Dritten zum Fenster hinaus zu hängen.

Ein Querbalken, der frei durch seine Kammer ging und das sehr niedrige Fenster derselben, halfen ihm über diese Schwierigkeit hinweg. Mit einem starken Stricke, der auf der einen Seite um die Querhölzer und den Stamm des Kreuzes fest geschlungen war, befestigte er das Kreuz selbst oben an den Querbalken. Der Strick blieb aber so lang und frei, dass das Kreuz, welches jetzt auf dem Boden lag, nachher, wenn es zum Fenster hinausgelassen war, frei an der äussern Mauer schweben könnte. Ein anderer Strick von derselben Stärke, gleichfalls oben an den Balken geknüpft, diente dazu, das Netz noch besonders fest zu halten; ein dritter Strick, seinen Leib an den Mast des Kreuzes fest zu binden.

Alle diese Veranstaltungen verrieten keinen geringen Aufwand von Erfindungskraft für den Verstand des armen Schusters. Und nicht, um einer kranken Eitelkeit zu fröhnen geschah dies alles; es galt ihm einzig und allein dieselben Schmerzen wie der Heiland zu empfinden und in derselben Lage wie der letztere vor sich selbst zu erscheinen. Da das Kreuz, an dem er litt, auf der Höhe und im Freien gestanden, da Jesus daran geschwebt und nicht darauf gelegen, verdoppelte der Arme seine Qual, indem er Mittel aussann, statt sich einfach auf das Kreuz zu nageln, was immer schon seine Schwierigkeiten hatte, von einer Höhe herab und im Freien daran herab zu hängen.

Am 19. Juli 1805 in der Morgenstunde waren alle Vorbereitungen fertig. Matheo setze sich die Dornenkrone auf, von der drei oder vier Stacheln in die Stirnhaut drangen. Ein weisses Taschentuch befestigte er um die Lenden und kroch alsdann, fast ganz nackend, in das Netz hinein, dergestalt, dass er auf dem Kreuze vorerst sass. Hier war seine erste Operation, dass er einen der für die Hände bestimmten Nägel, der glatt zugespitzt war, sich in die Fläche der rechten Hand hinein drückte und dann so stark mit der verwundeten Hand den Nagelkopf gegen den den Fussboden schlug, bis der Nagel zur Hälfte durch den Rücken der Hand hindurch war.

Dann legte er seine Füsse auf die zu diesem Behufe an den Kreuzmast angebrachte Knagge, den rechten über den linken und bohrte sich einen 15 Zoll langen Nagel, eben so glatt zugespizt als den vorigen, in beide Füsse. Während seine linke Hand den Nagel hielt, dass er in Richtung blieb, hämmerte er darauf mit einem Hammer mit derselben rechten Hand, welche schon von dem Nagel durchbohrt war! Das Eisen durchschnitt und durchfuhr beide Füsse, und so richtig hatte Matheo gehämmert, dass die Spitze des Nagels, als sie an der untern Fusssohle herauskam, gerade das Loch traf, welches er vorsorglich vorher in die Holzknagge gebohrt hatte. Die Füsse sassen nun fest am Kreuze.

Auch   diese   furchtbare Operation hatte weder seine physischen noch seine moralischen Kräfte erschöpft. Er sank in keine Ohnmacht, er zögerte auch nicht einen Augenblick, in dem furchtbaren Werke fortzufahren, vielmehr stiess oder schlug er sich den bereit gehaltenen dritten Nagel in die linke Hand mit derselben Ruhe und Sicherheit wie vorhin in die rechte. Dann schnürte er sich — und dies scheint in Anbetracht der beiden durch die Nägel zerrissenen und gelähmten Hände das Merkwürdigste — den dritten Strick, den er schon vorher zweimal um den Kreuzesstamm geschlungen) fest um den Leib und knotete ihn auf der Brust zu.

Noch blieb, um dem sterbenden Heilande gleich zu sein, eine mörderische Operation übrig, der Lanzenstich in die Seite, Zu diesem Behuf lag schon ein Schustermesser bereit. Hier irrte er zum ersten Male, insofern man annimmt, das er sich alle Wundenmale des Heilands beibringen wollte. Er stiess sich in die linke Seite und nicht in die rechte; auch da nicht an der Stelle, welche die Evangelisten angeben, sondern tief nach unten. Zwar ging der Stich tief, aber nicht todesgefährlich. Aus verschiedenen Richtungen und Ansätzen muss man schliessen, dass er bei dieser Operation länger zauderte. Er wollte sich entwender nicht töten, oder, zum ersten Mal vom Schmerz übermannt, suchte er eine Stelle, wo der Stahl minderen Widerstand fand.

Damit war zwar das blutige Geschäft zu Ende, die That selbst aber noch nicht vollbracht. Matheo musste sich gekreuzigt dem Volke zeigen. Blutend aus fünf Wunden, mit drei Nägeln in seinem Fleische, übte er die letzte Anstrengung, die nach unsern Begriffen in solchem Zustande die ausserordentlichste ist. Die Fensterbrüstung seiner Kammer war, wie gesagt, sehr niedrig. Den FUSS des Kreuzes hatte er schon vorher darauf gelegt; es galt jetzt nun, dass er sich mit demselben hinausschob. Seine Füsse waren angenagelt, sein Körper fest an den Baum geschnürt, ihm blieben nur beide Arme frei, aber mit zwei mit Nägeln durchbohrten Händen! Diese konnte er jedoch nicht frei gebrauchen, da ihn die Eisen hinderten, die ganze flache Hand auf den Fussboden zu stemmen. Somit setzte er die Maus beider Hände auf die Erde, und mit letzter Anstrengung schob er sich und das Kreuz, weiter zum Fenster hinaus. Es gelang nur mit verschiedenen Ansätzen. Glücklich, als die Kräfte ihn schon verliessen, brachte er das Kreuz durch einen letzten Ruck so weit über die Fensterbrüstung, dass der Schwerpunkt draussen war. Es schoss über und er flog hinaus und hing in der Stellung, die er erstrebt.

Noch hatte Matheo seine Besinnungskraft. Es fehlte noch etwas zum vollkommenen Heiland; auch seine beiden durchbohrten Hände mussten an die Querstangen angenagelt sein. Die Löcher waren zu beiden Seiten angebracht. Er hob seine Arme, aber es gelang ihm nur, den Nagel der linken in das Loch zu bringen und sie fest zu machen. Als er mit der rechten den Versuch machte, schwanden seine Kräfte, er vermochte die Stange nicht mehr zu erreichen. Der Arm fiel über das Netz, und der obere Körper und der Kopf senkten sich mit hinüber.

Selbstkreuzigung des Matheo von Casale (aus Neuer Pitaval VI

 - (hel)

Kreuuzigung Selbst

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