Selbsterziehung  Du hast nur einen Fehler. Das ist deine höchstgradige Unerzogenheit...

Erzogene Leute sollten meiner Meinung nach folgenden Bedingungen genügen:

1. Sie achten die menschliche Persönlichkeit und sind daher stets nachsichtig, sanft, höflich, entgegenkommend ... Sie bekommen keinen Anfall von Jähzorn wegen eines Hammers oder eines verlorenen Gummibands; wenn sie mit jemandem znsammenwohnen, dann machen sie daraus nicht eine Gnade und sagen nicht, wenn sie fortgehen: mit euch kann man nicht leben! Sie verzeihen Lärm, Kälte, angebranntes Fleisch, Witze und in ihrer Wohnung anwesende Fremde ...

2. Sie haben nicht nur mit Bettlern und Katzen Mitleid. Sie fühlen auch um etwas Seelenschmerz, den man nicht mit bloßem Auge sehen kann ... Sie schlafen die Nacht nicht, um Polewajews zu helfen, den studierenden Brüdern Geld zu geben, die Mutter zu kleiden.

3. Sie achten fremdes Eigentum und sie bezahlen darum auch ihre Schulden.

4. Sie sind reinen Herzens und fürchten die Lüge wie Feuer. Sie lügen nicht einmal in Kleinigkeiten. Eine Lüge ist für den, der sie zu hören bekommt, beleidigend und macht in dessen Augen den Sprecher unwürdig. Sie produzieren sich nicht, benehmen sich auf der Straße ebenso wie zu Hause, sie werfen den jüngeren Brüdern nicht Staub in die Augen ... Sie sind nicht schwatzhaft und werden nicht mit Intimitäten zudringlich, wenn sie nicht gefragt sind ... Aus Achtung vor fremden Ohren schweigen sie oftmals.

5. Sie erniedrigen sich nicht in der Absicht, beim anderen Mitleid zu erwecken. Sie spielen nicht auf den Saiten fremder Seelen, damit die sich als Antwort dafür nach ihnen sehnen und sich mit ihnen abgeben. Sie sagen nicht: ›Man versteht mich nicht!‹ oder ›Ich gebe mich für kleine Münze hin‹ ... denn das alles zielt auf einen billigen Effekt, es ist falsch, unecht...

6. Sie sind nicht eitel. Es interessieren sie nicht unechte Brillanten, wie die Bekanntschaft mit Berühmtheiten, die Begeisterung eines Vorübergehenden im Salon, die Bekanntschaft mit Portiers. Sie lachen über die Phrase: ›Ich bin Siegelbevollmächtigter!‹ die nur einem Rodsewitsch und Löwenberg zu Gesicht steht. Wenn sie mit Groschen zu tun haben, dann tragen sie nicht in ihrer Tasche hundert Rubel herum und brüsten sich damit, daß man sie dorthin läßt, wohin andere nicht gelassen werden ... Wirkliche Talente sitzen immer im Dunkel, in der Menge, weit vom Schauplatz... Sogar Krylow sagte, daß ein leeres Faß lauter ist, als ein volles...

7. Wenn sie Talent haben, dann achten sie es. Sie opfern ihm Ruhe, Frauen, Wein, Eitelkeit... Sie sind stolz auf ihr Talent. So trinken sie nicht mit den Aufsehern einer Kleinbürgerschule und mit den Gästen Skworzows, in dem Bewußtsein, daß sie nicht dazu berufen sind, mit ihnen zu leben, sondern sie erzieherisch zu beeinflussen. Daher empfinden sie leicht Ekel.

8. Sie erziehen sich zur Ästhetik. Sie können nicht im Anzug schlafen, in der Wand Sprünge voller Wanzen sehen, schlechte Luft atmen, über einen vollgespuckten Boden gehen, sich mit Hilfe eines Petroleumkochers ernähren. Sie bemühen sich, ihren Sexualtrieb zu zähmen und ihn zu veredeln... Sie brauchen von der Frau ... Zartheit, Feinheit, Menschlichkeit, die Fähigkeit... Mutter zu sein... Sie saufen nicht im Gehen Wodka, sie schnüffeln nicht in Schränken, denn sie wissen, daß sie keine Schweine sind. Sie trinken nur dann, wenn sie frei sind, bei Gelegenheit... Denn sie brauchen eine mens sana in corpore sano.

Usw... So sind Erzogene ... Um sich zu erziehen und nicht unter dem Niveau des Milieus zu stehen, in das man geraten ist, genügt es nicht, nur die Pickwickier vorzulesen und sich den Monolog des Faust einzupauken. Es genügt nicht, sich in eine Droschke zu setzen und nach Jakimanka zu fahren, um nach einer Woche von dort wieder zu verschwinden.

Reisen nach Jakimanka und zurück helfen nichts. Man muß tapfer ausspucken und mutig losstürmen... Komm zu uns, laß die Gräfinnen mit dem Wodka fahren und leg dich hin, und lies... und wenn es Turgenjew ist, den du nicht gelesen hast...

Die Eigenliebe mußt du aufgeben, denn du bist nicht mehr klein ... 30 Jahre bald! Es ist Zeit!

Ich warte ... Wir alle warten ...   - Anton Tschechow an seinen Bruder Nikolaij, nach (tsch)

 

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