Selbsterforschung   Sage mir, was du wünschst, und ich werde dir sagen, wer du bist.

Somit examiniere ich mich jetzt: was will ich eigentlich?

Ich will, daß unsere Frauen, Kinder, Freunde und Schüler in uns nicht unseren Namen lieben sollen, nicht die Firma und nicht den Stempel, sondern den gewöhnlichen Menschen.

Und was noch? Ich hätte gern Gehilfen und Nachfolger haben wollen.

Und noch: Nach hundert Jahren wieder aufwachen und wenigstens mit einem Blinzeln betrachten dürfen, wie weit sich die Wissenschaft entwickelt hat. Noch einige zehn Jahre leben dürfen ... Und was weiter?

Weiter nichts. Ich denke hin und her, ich denke lange nach und komme auf nichts weiter. Und wieviel ich auch nachdenken mag und wohin immer auch meine Gedanken abschweifen, es ist mir klar, daß in meinen Wünschen etwas Wichtiges fehlt, etwas sehr, sehr Bedeutendes. Trotz all meiner Leidenschaft für die Wissenschaft, trotz meines Verlangens zu leben, trotz dieses Hockens auf einem fremden Bett, in dem Bestreben, mich selber zu erkennen, fehlt in all meinen Gedanken, Gefühlen und in den Begriffen, die ich mir über alles gebildet, etwas Einheitliches, das sie zu einem großen Ganzen vereinigen könnte. Jedes Gefühl und jeder Gedanke führen in mir ihr besonderes Leben, und in allen meinen Urteilen über Wissenschaft und Theater, über Literatur und Schüler sowie in all den Bildern, die mir meine Phantasie malt, wird selbst der geschickteste Analytiker nicht das finden, was man als einen zusammenfassenden Gedanken bezeichnet oder als den Gott des lebendigen Menschen.

Und wenn das nicht da ist, so bedeutet dies, daß überhaupt nichts da ist.  - Anton Tschechow, Eine langweilige Geschichte. Nach (tsch)

Selbsterforschung (2)
 

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