elbstanalyse  Als ich jenes Mal von Forte dei Marmi zurück war, nahm ich eine enge Beziehung zu einer nicht lebenden und nicht toten Person auf, keiner aus Fleisch und Blut, obwohl gewichtig und gesprächig, nämlich dem Buch des Herrn Kraepelin. Ein Kranker meiner Art mußte ja fatalerweise auf dieses Psychiatrie-Traktat stoßen, und ich besaß nun einmal dieses alte und ausgezeichnete des Münchner Professors, dem man allenfalls eine antiquierte Terminologie zum Vorwurf machen könnte. Doch was heißt hier besitzen: es war dies Buch, vielmehr er, der mich bald und in voller Gewalt besaß, ein gleicherweise fatales Resultat. Sein großer Eindruck auf mich war vordringlich auf seine ausgeprägte Intelligenz und die von ihm praktizierte Beobachtungsweise zurückzuführen; die bewirkten, daß ich in seinen Seiten oder Armen unwandelbar alles fand, was sich auf meinen Fall bezog, sogar die geringsten Einzelheiten inbegriffen. Damit wir uns richtig verstehen, ich will nicht behaupten, daß er mir irgendwelche Heilmittel oder Linderungen verschafft hätte: seine Prognosen waren im Gegenteil stets unheilverheißend, und als es an die «Behandlung» ging, begnügte er sich mit dem mehr oder minder wortreichen Hinweis, daß es eine solche überhaupt nicht gebe. Andererseits muß ich sagen, daß ich mich von ihm bis in meine unbedeutendsten äußeren und inneren Gewohnheiten hinein verfolgt und ertappt fühlte; was ich auch war. Freilich sei vermerkt, daß er mir, wie dies der Brauch, auch viele Symptome zusprach, die ihm zupaß kamen. - (land2)

Selbstanalyse (2)  Er stellte sein Fenster auf opak, knipste die Deckenbeleuchtung an und machte sich vorsichtig daran, seine Kleidung abzulegen. Er hatte gut zugesehen, als die Mechaniker in der Vertragswerkstatt seine neue Hand anmontiert hatten: Er hatte jetzt eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie sein Körper zusammengesetzt war. Zwei Hauptverschalungen, eine in jedem Schenkel; die Mechaniker hatten die Verschalungen ausgebaut, um die darunterliegenden Schaltkreise zu überprüfen. Wenn ich programmiert bin, dachte er, ist die Matrix vielleicht dort zu finden.

Das Gewirr der Kabel ließ ihn verzweifeln. Ich brauche Hilfe, sagte er sich. Mal sehen ... wie war noch die Fon-nummer des Computers der BBB-Klasse, den wir im Büro benutzen?

Er hob den Hörer ab, wählte den Computer an dessen festem Standort in Boise, Idaho, an.

»Die Benutzung dieses Computers wird mit fünf Fröschen pro Minute berechnet«, sagte eine Automatenstimme aus dem Videofon. »Bitte halten Sie Ihre Masterkreditplakette vor den Bildschirm.«

Er tat es.

»Beim Signalton werden Sie mit dem Computer verbunden«, fuhr die Stimme fort. »Bitte stellen Sie Ihre Frage so zügig wie möglich, und beachten Sie auch, daß die Antwort innerhalb von Mikrosekunden erfolgen wird, sobald Ihre Anfrage -« Er stellte den Ton ab. Stellte ihn aber schnell wieder an, als der leere Audio-Input des Computers auf dem Schirm erschien. In diesem Moment war der Computer zum gigantischen Ohr geworden, das ihm zuhörte - sowie fünfzigtausend weiteren Fragestellern von ganz Terra.

»Taste mich visuell ab«, instruierte er den Computer. »Und sag mir, wo ich den Programmiermechanismus finde, der meine Gedanken und mein Verhalten steuert.« Er wartete. Auf dem Schirm des Föns guckte ihn ein großes, bewegliches Facettenauge an; er stellte sich dort in seinem Einzimmerapartment vor ihm zur Schau.

Der Computer sagte: »Nehmen Sie Ihre Brustverschalung ab. Üben Sie Druck auf Ihr Brustbein aus und lockern es dann nach außen.«

Er tat es. Ein Teil seiner Brust löste sich; benommen legte er es auf den Fußboden.

»Ich kann Steuermodule erkennen«, sagte der Computer, »kann aber nicht genau sagen, welches —« Er unterbrach sich, während sein Auge über den Fonschirm wanderte. »Ich erkenne eine über Ihrem Herzmechanismus montierte Lochstreifenspule. Sehen Sie sie?« Poole reckte den Hals und spähte nach unten. Er sah sie auch. »Ich muß aus der Leitung rausgehen«, sagte der Computer. »Nachdem ich die mir verfügbaren Daten geprüft habe, setze ich mich mit Ihnen in Verbindung und werde Ihnen eine Antwort geben. Guten Tag.« Der Bildschirm erlosch.

Ich reiße mir den Streifen raus, sagte sich Poole. Winzig ... nicht größer als zwei Garnspulen, mit einem zwischen Zuführspule und Aufnahmespule montierten Scanner. Er sah kein Anzeichen von Bewegung; die Spulen schienen stillzustehen. Wahrscheinlich schalten sie sich nur ein, wenn bestimmte Situationen auftreten, überlegte er.

Und setzen meine Hirntätigkeit außer Kraft. Und das haben sie mein Leben lang getan.

Er griff nach unten, berührte die Zuführspule. Ich muß das einfach nur ausreißen, dachte er, und dann -

Der Videofonschirm wurde wieder hell. »Masterkreditplakettennummer 3-BNX-882-HQR446-T«, ertönte die Stimme des Computers. »Hier ist BBB-307/DR mit erneuter Rückmeldung auf Ihre Anfrage von sechzehn Sekunden Dauer, 4. November 1992. Die Lochstreifenspule oberhalb Ihres Herzmechanismus ist keine Programmiervorrichtung, sondern ein Mechanismus, der die Realitätszufuhr steuert. Alle von Ihrem Zentralnervensystem empfangenen Sinnesreize gehen von dieser Einheit aus, sie zu manipulieren, wäre riskant, wenn nicht tödlich.« Er fügte hinzu: »Sie verfügen, wie es scheint, über gar keinen Programmierungsschaltkreis. Anfrage beantwortet. Guten Tag.« Er klickte und war weg.  - Philip K. Dick, Die elektrische Ameise. In: P. K. D., Der Fall Rautavaara. Zürich 2000

Selbstanalyse (3)  
 

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