elbst-Begräbnis
Jedenfalls ist der Brauch, sich die sich selbst vorausgehenden
Riten zu spenden, heute ziemlich verbreitet und wird offenbar nicht als durch
und durch sündhaft betrachtet, vorausgesetzt, daß man die notwendigen Schutzvorkehrungen
getroffen hat, wie etwa die Löschung der vorangehenden Geburtsriten, wenn sie
mit den zu vollziehenden Riten nicht vereinbar sind; was jedoch, nach den neuesten
Entdeckungen der theologischen Wissenschaften ein so seltenes Vorkommnis ist,
daß man dabei an ein vorbestimmtes Schicksal zu denken genötigt ist - an eine
Hölle, die so sehr ad personam zugeschnitten ist, daß es die schiere Niederträchtigkeit
wäre, sie dem künftigen Nutznießer vorzuenthalten. Und wenn man es einmal bedenkt:
dieses Sich-selbst-Begraben, Sich-die-ei-gene-Grabrede-Halten - oder die eigene
Deprecatio; dieses Befremdliche und zugleich Aufregende des Der-eigenen-Beisetzung-Beiwohnens,
dieses Sie-glückÜch-beschlossen-Sehen, dieses Noch-emmal-das-Leben-Überdenken
- das eigene Leben, die eigenen Leidenschaften und die nicht immer nur läßlichen
Sünden, die es verdarben und zugleich erst schmackhaft machten; dies Sich-Erinnern
an die Mit-Gestorbenen, die Vor-Gestorbenen, die Nach-Ge-storbenen, alle fremd
jetzt, wenn nicht gänzlich unbekannt, alle getrennt von uns durch den Ring -
ja, ich möchte sagen: den Glorienschein der Langeweile des Miteinander-gelebt-Habens,
und der zarteren Langeweile des Aneinander-, Nebeneinander-, Ineinander- und
Umeinanderseins; und dann dies Die-eigene-Grabmschrift-Diktieren und - was mir
sehr rührend erscheint - dies Über-sich-selbst-Lügen, nicht nur im Bewußtsein,
daß man lügt, sondern auch, daß alle anderen es wissen: daß man aus Liebe lügt
- weshalb diese Lüge eine große, tödliche Liebkosung ist, mit der wir das abgenutzte,
nicht verbesserungsfähige und deshalb keiner Neuauflage würdige Buch jenes Irgendwer-Lebens
schließen, daß wir gelebt haben, wie es uns gestattet oder gewährt wurde - oder
tragbar war; endlich das Erleben des Zwiegesprächs mit den eigenen Überresten,
das Sich-als-Überreste-Wissen, während man sich an sie wendet: an jenes Säckchen
voll Knochen, die einmal kultiviert waren und lasziv. All das scheint mir dem
Selbst-Begräbnis eine strenge, auch pädagogische Süße zu verleihen, die es in
keiner anderen gemeinsam zelebrierten Todesform gibt; und was wäre das auch
für ein Begräbnis, bei dem gerade er, der Tote, abwesend wäre? Wäre es nicht
wie eine Trauung ohne Brautpaar, eine Taufe ohne - ich möchte nicht sagen: ohne
Kind, aber ohne Samen und Ei? Sicher: manch einer mag ins Narzißtische, ins
Eitle abgleiten — aber wo könnte das denn nicht geschehen? Und da wir im Leben
alle unsere Opfer haben -wenn nicht auf dem Gewissen so doch im Gedächtnis -wird
nicht derjenige vorsichtiger sein, welcher weiß, daß zwischen den Anwesenden,
wenn auch nicht sicher, so doch wahrscheinlich irgendwo ein Vor-Toter kauert,
der zwar neu ausstaffiert ist, aber doch nicht so neu, als daß man ihn nicht
erkennen könnte? - Giorgio Manganelli,
Unschluß. Berlin 1978
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