ekretärin  Maigret rauchte bedächtig seine Pfeife und versuchte, diese ganze Welt in sich einzusaugen, die er am Tag zuvor noch nicht gekannt hatte und die plötzlich in seinem Leben aufgetaucht war.

»Da wir einmal bei diesem Thema sind, will ich Ihnen noch eine andere indiskrete Frage stellen. Schlafen Sie mit Herrn Parendon?«

Sie hatte eine bestimmte Art zu reagieren. Sie hörte mit ernstem Gesicht der Frage aufmerksam zu, ließ sich mit der Antwort Zeit, und wenn sie dann antwortete, begann sie zu lächeln, zugleich maliziös und spontan, wobei ihre Augen hinter der Brille funkelten.

»In gewissem Sinn, ja. Wir treiben es manchmal, aber immer auf die Schnelle, so daß das Wort ›schlafen‹ hier nicht paßt, denn wir haben nie eine ganze Nacht zusammen verbracht.«

»Weiß Tortu das?«

»Wir haben nie darüber gesprochen, aber er ahnt es gewiß.«

»Warum?«

»Wenn Sie die Wohnung besser kennen würden, würden Sie es verstehen. Wer ist tagsüber hier? Monsieur und Madame Parendon und ihre beiden Kinder, das sind schon vier, dazu drei im Büro, das macht sieben... Ferdinand, die Köchin, das Hausmädchen und die Putzfrau. Mit denen sind es elf, ohne den Masseur von Madame zu erwähnen, der jede Woche an vier Vormittagen kommt und ohne ihre Schwestern und die Freundinnen von Mademoiselle Bambi.

Auch wenn die Wohnung sehr groß ist, trifft man sich immer wieder... vor allem hier.««

»Warum hier?«

»Weil jeder in dieses Büro kommt, um sich Papier, Briefmarken, Büroklammern und dergleichen zu holen...

Wenn Gus ein Stück Bindfaden braucht, wühlt er in meinen Fächern ... Bambi braucht immer Marken oder Klebestreifen ... Und Madame...«

Er blickte sie an, gespannt auf das, was nun kam.

»Sie ist überall. Sie geht zwar viel aus, aber man weiß nie, ob sie ausgegangen oder zu Hause ist... Haben Sie bemerkt, daß alle Flure und die meisten Zimmer Teppichböden haben? Man hört niemanden kommen... Die Tür öffnet sich, und jemand tritt ein, den man gar nicht erwartet hat. Es kommt zum Beispiel vor, daß sie meine Tür aufmacht und murmelt, als habe sie sich geirrt:

‹Ach, Verzeihung.›«.

»Ist sie neugierig

»Oder gedankenlos. Es sei denn, daß das eine Manie ist.«

»Hat sie Sie nie mit ihrem Mann überrascht?«

»Ich bin nicht sicher. Einmal, kurz vor Weihnachten, als wir glaubten, sie sei beim Friseur, kam sie in einem ziemlich delikaten Augenblick herein. Wir hatten gerade noch die Zeit, uns zu fassen, wenigstens nehme ich das an, aber auch das ist nicht sicher ... Sie tat ganz ungezwungen und sprach mit ihrem Mann über das Geschenk, das sie für Gus gekauft hatte.«

»Hat sie ihre Haltung Ihnen gegenüber nicht geändert?«

»Nein. Sie ist zu allen liebenswürdig. Es ist eine ganz bestimmte Liebenswürdigkeit, fast so, als schwebe sie über uns allen, um uns zu schützen... Ganz für mich allein nenne ich sie manchmal den Engel...«

»Können Sie sie nicht leiden?«

»Ich würde mich nicht mit ihr befreunden, wenn Sie das meinen.« - Georges Simenon, Maigret zögert. München 1971 (Heyne Simenon-Kriminalromane 114, zuerst 1968)

Sekretärin (2)  »Wie steht es mit seiner Sekretärin?«

»Mademoiselle Louise?«

Fumal hatte seiner Geliebten tatsächlich alles anvertraut.

»Was hielt er von ihr?«

»Er sagte, sie sei kalt, ehrgeizig und geizig. Sie bliebe nur bei ihm, um genug sparen zu können.«

»Ist das alles?«

»Nein. Da ist noch etwas passiert mit ihr. Hat sie es Ihnen nicht gesagt?«

»Erzähl schon.«

»Na schon. Jetzt, da er tot ist...«

Sie blickte sich um und sprach mit leiser Stimme, weil sie fürchtete, die Kellner könnten sie hören. »Eines Tages im Büro tat er so, als sei er scharf auf sie, und wurde zärtlich zu ihr. Dann befahl er: ›Zieh dich aus!‹«

»Und sie hat gehorcht?«

»Er behauptete, ja. Er hat sie nicht einmal in sein Schlafzimmer geführt, sondern blieb am Fenster stehen, während sie sich auszog. Als sie nadkt war, betrachtete er sie mit spöttischen Augen und fragte:

›Bist du noch Jungfrau ?‹«

»Was hat sie geantwortet?«

»Nichts. Sie ist rot geworden. Ein wenig später hat er gebrummt: ›Du bist keine Jungfrau mehr. Das genügt. Zieh dich wieder an.‹

Zuerst habe ich diese Geschichte nicht geglaubt. Aber dann hat er auch mich so gekränkt. Der Unterschied ist nur, daß ich weder ihre Erziehung noch ihre Bildung habe. Die Männer wissen bei mir, daß sie sich alles erlauben dürfen. Aber ein Mädchen wie sie.

Wenn er nicht geschwindelt hat, hat er ihr zugeschaut, wie sie sich wieder angezogen hat. Dann hat er auf einen Stuhl gedeutet, ihr den Stenoblock gegeben und die Post diktiert.« - Georges Simenon, Maigret erlebt eine Niederlage. München 1972 (Heyne Simenon-Kriminalromane 20, zuerst 1956)

Sekretärin (2)  Die Türe, die zum Schwager führte, war verschlossen. Dr. Georges läutete. Man hörte einen wuchtig schleppenden Schritt. Dann wurde es totenstill. Hinter dem Guckloch erschien ein schwarzes Auge. Madame legte den Finger an den Mund und grinste zärtlich. Das Auge verharrte regungslos. Die beiden warteten geduldig. Der Arzt bedauerte seine Höflichkeit und den empfindlichen Zeitverlust. Plötzlich ging die Türe lautlos auf. Ein angekleideter Gorilla trat vor, streckte die langen Arme aus, legte sie auf die Schultern des Arztes und begrüßte ihn in einer fremden Sprache. Die Frau beachtete er nicht. Seine Gäste gingen ihm nach. An einem runden Tisch hieß er sie Platz nehmen. Seine Gebärden waren roh, aber verständlich und einladend. Über die Sprache zerbrach sich der Arzt den Kopf. Am ehesten erinnerte sie ihn noch an einen Negerdialekt. Der Gorilla holte seine Sekretärin. Sie war notdürftig bekleidet und sichtlich verlegen. Als sie sich gesetzt hatte, wies ihr Herr auf ein Bild an der Wand und klatschte ihr eine über den Rücken. Sie schmiegte sich frech an ihn an. Ihre Scheu verschwand. Das Bild stellte die Vereinigung zweier affenartiger Menschen dar. Madame hob sich und besah es aus verschiedenen Entfernungen, von allen möglichen Seiten. Der Gorilla hielt den männlichen Besuch fest, er hatte ihm wohl viel zu erklären. Georges war jedes Wort neu. Nur eines begriff er: Das Paar am Tisch stand in enger Verwandtschaft zu dem Paar auf dem Bild. Die Sekretärin verstand ihren Herrn. Sie antwortete ihm in ähnlichen Worten. Er sprach stärker, mehr aus der Tiefe, hinter seinen Lauten lauerten Affekte. Sie warf manchmal ein französisches Wort hin, vielleicht um anzudeuten, was gemeint sei. »Sprechen Sie nicht Französisch?« fragte Georges. »Aber natürlich, mein Herr!« entgegnete sie heftig, »was denken Sie von mir? Ich bin Pariserin!« - Elias Canetti, Die Blendung. In: Affenmensch und Menschenaff. Hg. Margit Knapp. Berlin 1999 (Wagenbach Salto 85)

Sekretärin (3)  Seinem Vater war er wie aus dem Gesicht geschnitten, dem ersten T. Wallace Wooly, der so viel für das Familienvermögen geleistet hatte. Er benahm sich auch wie sein Vater: er saß an dessen Schreibtisch und hatte sogar in den ersten Jahren nach seines Vaters Tod noch dessen Sekretärin beibehalten, eine Miss Ogilvie, die, ihrem Äußeren nach zu urteilen, möglicherweise zum Teil ein Pferd war, wenn auch nicht direkt ein edles.  - Thorne Smith, Meine Frau, die Hexe. Frankfurt am Main 1989 (Fischer-Tb., Bibliothek der phantastischen Abenteuer, zuerst 1941)

Sekretärin (4)   Bei einer Visite, die er der üppigen und zudringlichen Frau eines Bankiers abstattete - sie wurde immer krank, wenn der Mann verreist war -, begegnete er dessen Bruder, einem harmlosen Irren, den die Familie aus Prestigegründen zu Hause gefangenhielt; selbst ein Sanatorium erschien dem Bankier als kreditschädigend. Zwei Zimmer seiner lächerlichen Villa waren dem Bruder reserviert, der hier die Herrschaft über seine Pflegerin führte, eine junge Witwe, dreifach an ihn verraten und verkauft. Sie durfte ihn nie allein lassen, sie mußte ihm in allem zu Willen sein, vor der Welt hatte sie sich als seine Sekretärin auszugeben, denn man führte ihn als Künstler und Sonderling, der für die Menschen wenig übrig habe und heimlich an einem ungeheuren Werk arbeite. - Elias Canetti, Die Blendung. Frankfurt am Main 200 (zuerst 1935)

Sekretärin (5)  Die Stute reckte sich gierig nach vorn, und ihre Augen glühten. »Glaubst du auch.. . ?«

»Ich will es nicht hoffen!« stöhnte Mr. Wooly. »Aber sie hofft! Puder?« fragte Sara das Pferd. »Willst du Puder auf die Nase, Herzchen ? Nein, Puder nicht. Oh, aber. . .« »Nein!« ächzte Mr. Wooly.

Sara, die um keinen Preis noch einmal dem armen Tier weh tun wollte, redete hastig weiter. »Ein bißchen Lippenstift?« fragte sie mit geheucheltem, aber unter den Umständen angebrachtem Lächeln, und das Pferd nickte begeistert.

»Vorsicht!« rief Mr. Wooly. Aber Sara hatte keine Angst, denn sie wußte, daß ein Pferd, das sich seit Tagen nach Lippenstift für seine breiten, grauen, trockenen Lippen sehnt, ihr nicht die Hand abbeißen würde, jedenfalls nicht, bevor der Lippenstift alle war. »Du siehst doch selber«, bedeutete Sara ihrem Vater, »daß sie es unmöglich allein kann; wie sollte sie mit ihren Vorderhufen einen winzigkleinen Lippenstift festhalten? Nicht einmal Finger hat sie, das arme Ding.«

Sie verbrauchte den ganzen Lippenstift, der neu war, und das Ergebnis war, vorsichtig ausgedrückt, bemerkenswert. Rommee hob den Kopf und entblößte eckige Zähne von der Farbe alten Elfenbeins, die durch Lippen, die röter waren als frischgeschnittenes Beefsteak, nun noch weit gelber wirkten.

»Lächeln!« flüsterte Sara ihrem Vater zu. »Steh nicht da und sieh entsetzt aus!«

Mr. Wooly legte sein Gesicht in Falten, so gut er konnte. Innerlich schauderte es ihn. Es sah so ungeheuer weiblich aus. Das Pferd hatte genau das Äußere der Sorte Sekretärinnen, mit denen sein Vater sich immer umgeben hatte.   - Thorne Smith (mit Norman Matson), Meine Frau, die Hexe. Frankfurt am Main 1989 (zuerst 1941)

 

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