eemannsgarn    Er hatte an der Küste von Afrika auf portugiesischen Sklavenschiffen gedient und pflegte uns mit teuflischem Behagen von der „Mittelpassage" zu erzählen, bei der man die Sklaven Kopf bei Fuß wie Holzstämme verstaute und jeden Morgen vor dem Deckswaschen die Erstickten oder sonstwie Gestorbenen von den Handschellen losmachte und aus den Lebenden aussortierte. Und einmal sei er auf einem Sklavenschoner gewesen, der auf der Höhe von Kap Verde von einem englischen Kreuzer gejagt wurde. Er habe drei Schüsse in den Rumpf bekommen, die mitten durch eine ganze Lage angeketteter Sklaven gegangen seien.

Dann erzählte er, wie er während eines Fiebers in Batavia gelegen hatte, wobei das Schiff alle paar Tage einen Mann verlor, und wie sie torkelnd mit der Leiche an Land gingen und sich noch mehr vergifteten, indem sie Vorbeugungsmaßnahmen gegen die Seuche ergriffen. In Indien habe er, so erzählte er, als er einmal an Land schlief, eine Cobra Capella oder Brillenschlange unter seinem Kopfkissen gefunden. Dann berichtete er von Matrosen, die in Kanton wegen ihres Geldes mit präpariertem Kopfwaschpulver vergiftet würden, und von den malaiischen Gaunern, die in der Meerenge von Gaspar Schiffe anhielten und sich stets den Kapitän bis zum Schluß aufbewahrten, um ihn so zu veranlassen zu verraten, wo die wertvollsten Güter verstaut seien.  - Herman Melville, Redburn. Seine erste Reise. München 1967 (zuerst 1849)

Seemannsgarn (2)  Ob das wahr ist, das hat mir ein alter Seemann bestätigt. Es war damals, als ich Schiffsjunge auf dem Fischerboot meines Onkels war. Und in diesem Jahr hatten wir so wenig Glück, daß wir sozusagen rein gar nichts fingen. Obendrein kam noch eines Morgens ein Matrose zum Kapitän und bat ihn, sozusagen auf Knien, heimzufahren.

»Im Schlaf sind mir zwei Hexen erschienen. Die ältere spricht von uns - mir ist, als sähe ich sie noch - und sagt zur jungen: >Sie werden auf Meeresgrund laufen. Ich werde drei Wellen sich gegen sie erheben lassen: eine aus Milch, eine aus Tränen, eine aus Blut.< - >Und sie haben<, sagt die junge, >gar kein Mittel davonzukommen ?<

>Es gäbe schon eines, aber glücklicherweise kennen sie es nicht: Sie müßten eine Harpune genau in die Mitte der Blutwelle auswerfen. Ich werde da drinnen versteckt sein, und der Schlag, der die Welle träfe, würde mir das Herz durchbohren.«« »Eine Lamia! Eine Lamia!« schrie die Mannschaft voll Schrek-ken.

»Hexen oder nicht«, sagte der Kapitän, »wir werden schon sehen, ob dein Traum gut war.«

Er nimmt das Steuer, der Tapferste nimmt die Harpune, die anderen nehmen die Ruder.

Plötzlich kommt unvermutet, so hoch wie ein Haus, weiß wie Milch, die erste Welle daher.

»Vorwärts, Kinder!« schreit mein Onkel. Die Ruder durchschneiden das Wasser. Das Boot schießt vorwärts. Wir sind durch!

Aber da ist schon die zweite Welle, klar wie Kristall! Das Schiff holt fest an, bleibt einen Augenblick wie aufgehängt am Scheitel der Woge stehen und gleitet schließlich herab. Dann kommt plötzlich die schreckliche Blutwelle. Sie füllte den Horizont wie eine endlose Mauer so vollkommen aus, daß man außer ihr nichts mehr sah.

»Los! Schlag genau in die Mitte!« schreit der Kapitän und macht dabei das Kreuzzeichen.

Die Harpune fliegt. Die Welle teilt sich entzwei. Wir fahren durch. Aber wir waren totenbleich.

Nun! Just an diesem Tag - nicht an einem anderen - wurden uns die Arme müde vom Hereinholen und Leeren der Netze, die voller Fische waren.  - Baskische Märchen. Übs. und Hg. Felix Karlinger und Erentrudis Laserer. Düsseldorf, Köln 1980 (Diederichs, Die Märchen der Weltliteratur)

 

Fabulieren Seemann Garn

 

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