Leise Röte bezeigte, daß Leben zurückflutete in den menschlichen Lehm, seiner Seele verlustig während kurzer Sekunden und sichere Beute des dunklen Engels, ohne Einwirkung des Doktors.
In siegerischer Freude flammte das Augenblau des Doktors Cherbonneau auf, der mit großen Schritten im Zimmer auf und ab ging und sich immer sagte: »Die hochberühmtesten Ärzte sollten einmal versuchen, dieses nachzutun, sie, die sich soviel darauf einbilden, wenn sie das menschliche Uhrwerk, so gut es eben gehen will, flicken, wenn es Schaden genommen hat: Hippokrates, Galienus, Paracelsus, van Helsmondt, Boerhaave, Tronchin, Hahnemann, Rasori, der mindeste indische Fakir, der auf einer Tempeltreppe kauert, weiß tausendmal mehr als ihr. Was liegt am Körper, wenn man den Geist in der Gewalt hat!«
Nach dieser Feststellung vollrührte der Doktor Balthasar Cherbonneau
einige Freudenluftsprünge und tanzte wie die Gebirge im Sir-Hasirim des
König Salomo; er wäre um ein Haar sogar zu Fall gekommen, weil sich sein
Fuß im wallenden Brahminenkleid verfing, und dieses brachte ihn zu sich
selber und er beherrschte sich. »Erwecken wir unsere Schläfer«, sagte Herr
Cherbonneau, nachdem er sich den bunten Staub der Male vom Gesicht gewischt
und die Brahminentracht abgelegt hatte. Dann nahm er Stellung vor dem von
Octaves Seele bewohnten Körper des Grafen Labinski und führte die nötigen
Striche aus, um ihn seinem magnetischen Schlaf zu entreißen. Nach jedem
Striche schüttelte er sich das herausgezogene Fluidum von den Fingern.
- Théophile Gautier, Avatar. Frankfurt am Main 1985 (st 1161, zuerst
1856)
Seelenwanderung (2) Die Seele des Hermodoros aus Klazomenai verließ den Körper bei Tag- und Nachtzeiten und wanderte weithin durch die Welt. Wenn sie in der Ferne überall an Reden und Taten teilgenommen hatte, kehrte sie zurück. Endlich verriet sein Weib das Geheimnis.
Da bemächtigten sich seine Feinde seines Körpers, als er seelenlos dalag,
und verbrannten ihn mitsamt seinem Haus. Aber diese Erzählung ist nicht
richtig, denn es war nicht die Seele, die den Körper verließ, sondern sie
lockerte jedesmal das Band, das sie mit dem Daimon verband, und gab ihm
so Gelegenheit, weit in der Welt umherzuwandern. So konnte er dann von
allem, was er außerhalb gesehen und gehört hatte, berichten. Die Feinde
aber, die seinen Körper während des Schlafes töteten, sind noch jetzt nicht
ihrer Strafe im Tartaros ledig. - (
plu
)
Seelenwanderung (3) Ali ben Ali vermachte in einem ordentlichen Testamente sein ganzes Vermögen dem Verlobten seiner Köchin, stellte sich sehr krank und lud den jungen Handlungsdiener, um ihn angeblich zum Erben seiner Magie zu machen, zu einer geheimen Nachtsitzung ein. Am Morgen war Ali ben Ali friedlich entschlummert, und Abubekr feierte fröhliche Hochzeit mit Suleikha.
Wir aber wissen besser, welche Bewandtnis es mit der Sache hatte: Ali
ben Ali hatte den jungen Abubekr getötet, war mit seiner Seele
in den Leib des Toten gefahren und lebte nun
als sein eigener Nebenbuhler und Erbe fort. Er mag aber unter der strengen
Hausherrschaft der schönen Suleikha, die ihn, als er ein Hahn
war, ja fast schon geschlachtet hätte, recht gelitten haben. Denn nach
wenigen Jahren ist er sehr gereift im Leibe eines Pilgers, den ein Räuber
vor seiner Schwelle erwürgt, heimlich fortgewandert. In dieser Gestalt
soll er manche Schwanke angestellt, vor allem Feldallah, den König von
Mousel und seine Gemahlin Zemrouda in eine vielbesprochene tolle Eheirrung
verwickelt haben, um schließlich, als auch der Leib des Pilgers alt geworden,
in dem Körper eines jungen, kräftigen Bettlers fortzuleben, dessen Seele
er herausgelockt und in einem toten Eunuchen gefangen hatte. - Wilhelm
von Scholz, Seelenwanderungskunst. In: Jenseits der Träume. Seltsame Geschichten
vom Anfang des Jahrhunderts. Hg. Robert N. Bloch. Fankfurt am Main 1990
(st 1595, zuerst 1916)
Seelenwanderung (4) Wenn ich einen Mann vor
einem Frauenzimmer hinknien sehe, um ihre Hand, oder um ihr Herz, oder
in besonderen Fällen um beides zu bitten, so glaube ich immer an die Seelenwanderung
und meine, in diesem Manne sei die Seele
eines Kameels, das gewöhnlich niederknien muß,
wenn man ihm die schwersten Lasten aufbürdet. - (
sap
)
Seelenwanderung (5) Die »Traumseele« ist
die einzige Seele und entweicht während des Schlafes aus dem Körper, so
daß Träume als ihre nächtlichen Erlebnisse zu verstehen sind. Im Tod verläßt
sie den Leib definitiv, bleibt freilich sieben Tage lang in der Nähe des
Grabes bzw. des Lagers. Sie ähnelt dem Menschen, aber nur wie sein
Schatten. Ihr Gesicht leuchtet - an Glühwürmchen
erinnernd. Wenn sie sich in der Nähe der Lebenden aufhält, ist sie besonders
gefährlich. Sie versucht, so glaubt man, den Hinterbliebenen die Zunge
herauszureißen, um zu töten. Dies beabsichtigt sie, weil es ihr um Gesellschaft
bzw. Begleitung auf der letzten Reise geht. Nach sieben
Tagen wandert sie gen Osten und muß zwei Brücken
überqueren. Die erste ist wie eine Wippe konstruiert, die die Seele in
die Höhe schleudert und bei einem Gott am Firmament landen läßt. Der schiebt
sie mit dem Ellbogen zu einer zweiten, ins Totenland führenden Brücke -
doch die Seele fällt ins Meer. Die Ahnen kommen und befragen sie nach ihren
Hinterbliebenen. Wenn sie nicht genug weiß, muß sie auf die Erde zurückfahren.
- Hans-Jürg Braun, Das Jenseits - Die Vorstellungen der Menschheit
über das Leben nach dem Tod. Frankfurt am Main 2000 (it 2616, zuerst 1996)
Seelenwanderung (6)
Wir auch, ein Teil des Alls, wir können, da wir
nicht Leib nur, sondern geflügelte Seelen auch sind, unsre Wohnung in wilden Tieren finden oder im Leib von zahmen uns bergen, Leiber, welche die Seelen vielleicht unsrer Eltern und Brüder, eines, den sonst ein Band uns geeint hat, beherbergt, gewiß doch die eines Menschen, die wollen in Ruhe und Ehren wir lassen, nicht mit thyestischem Mahl die Eingeweide uns füllen. O, wie gewöhnt er sich schlimm, wie bereitet er ruchlos auf Mord an Menschen sich vor, der die Kehle des Kalbes durchschlägt mit dem Messer, rührungslos das Ohr seinem Brüllen bietet, und der auch, der es vermag den Bock zu stechen, wenn seinen Schrei, der dem eines Knaben gleicht, er ausstößt, vom Vogel zu essen, dem er selbst das Futter gereicht. Wieviel ist's, was da fehlt zum vollen Verbrechen, wohin wird so die Bahn nicht bereitet? Pflüge das Rind! Doch schreibe sein Sterben den Jahren es zu, es liefere Waffen das Schaf, zu wehren dem grimmigen Nordwind, lasse die satte Ziege ihr Euter den pressenden Händen. – Fort die Netze, die Fallen, die Schlingen, die Listen und Tücken! Täuscht den Vogel nicht mit der leimbestrichenen Rute, schließt den Hirsch nicht ein in die schreckenflitternden Federn und verbergt nicht den Haken der Angel in trügender Speise. Tötet, die schaden etwa, doch diese tötet auch nur, bleib ferne davon euer Mund und genieße sanftere Nahrung! |
- Pythagoras, nach (
ov
)
Seelenwanderung (7) Die Überzeugung unserer Fortdauer
entspringt mir aus dem Begriff der Tätigkeit; denn wenn ich bis an mein Ende
rastlos wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Daseins
anzuweisen, wenn die jetzige meinem Geist nicht ferner auszuhalten vermag. -
(
goe
)
Seelenwanderung (8) Bevor Buddha seine Buddhaschaft
erlangte, schlüpfte er auf seiner Seelenwanderung in die unterschiedlichsten
Existenzen. Er war ebenso als Sohn eines Königs oder eines Brahmanen auf die
Welt gekommen, er war nicht nur in die Familie eines Töpfers oder eines Musikers
hineingeboren worden, er hatte seine Leben nicht bloß als Büßer oder Künstler
verbracht und, da die Sternenkonstellation einst ungünstig gewesen war, gar
als Räuber. In der ›Dschatakam‹, einer Sammlung von ›Geburtsgeschichten‹,
liest man von den Existenzen, die der zukünftige Buddha als Tier fristete.
Er hatte zum Beispiel als Hase das Licht der Welt erblickt, als »freigebiger«
Hase, der den anderen drei Weisen, dem Affen, dem Fischotter und dem Schakal,
ein Beispiel vorlebte, wie man Fastengesetze respektiert. Tugendhaft war
auch das Schwein, das von einer Frau wie ein Sohn behandelt wurde und dessen
kleiner Bruder Tundila beinahe das Opfer der Freßlust geworden wäre. Gar
der König hörte, wie das Schwein »mit süßer Stimme in Buddha-Anmut die Unterweisung
über das rechte Verhalten erteilte«. - (
loe2
)
Seelenwanderung (9)
Seelenwanderung (10) Sündhafte Seelen, die an keinen guten Ort gekommen, werden, wenn sie in einem Luftkörper umherschweifend unseren Blicken jede beliebige Gestalt zeigen, Larven oder Gespenster genannt, die für die Guten von keiner Bedeutung, den Bösen aber schädlich sind. Sie zeigen sich bald in einei dünneren, bald einer dichteren Hülle unter der Gestalt verschiedener Tiere und Ungeheuer, denen sie einst in ihren Sitten im Leben ähnlich waren, wie der Dichter singt:
Alsdann erscheint verschiedenerTrug und Gesichter
von Tieren;
Plötzlich wird es ein borstiges Schwein und ein wütender Tiger,
Jetzt
ein schuppiger Drache, dann eine rötliche Löwin;
Flammen speit es hierauf
unter lautem, heftigem Zischen.
So verwandelt es sich in alle Gestalten
der Dinge,
Bald in Feuer, in schrecklich Getier, bald in fließendes Wasser.
Eine unreine Menschenseele, die in diesem Leben allzusehr dem Körperlichen anhing, die innigste Neigung zu dem elementarischen Körper hatte, bildet sich aus den Dünsten der Elemente einen andern Körper, indem sie aus solcher bildsamen Materie wie durch einen Atemzug einen Schattenkörper annimmt, der nun nach göttlichem Gesetze gleichsam ihr Kerker und ein sinnliches Organ ist, worin sie Kälte und Hitze erduldet, sowie allem unterworfen ist, was Körper, Geist und Sinne quälen kann, als Gestank, Geheul, Wehklagen, Zähneklappern, Schläge, Reißen und Bande, wie Virgil sagt:
Also läutert die Strafe sie erst, und das alte Verderben
Wird durch Qualen gebüßt. Die hangen in wehenden Lüften
Ausgespannt,
die müssen im tiefen Strudel des Wassers
Flecken der Sünd' abwaschen, und
die ausbrennen durch Feuer.
Bei Homer erzählt Alkinous dem Ulysses:
Auch den berühmten Zögling der Erde, den Tytius sah'n
wir,
Wie sein neuer Körper weit ausgespannt, und zu beiden
Seiten ein
Geier saß, der die Eingeweide
zerfleischte.
Bisweilen bewohnen jedoch solche Seelen nicht bloß derartige figürliche Körper,
sondern aus allzu großer Vorliebe für Fleisch und Blut nehmen sie ihre Wohnung
auch in den Körpern von Reptilien und Tieren jeder Art, von denen sie wie Dämonen
Besitz ergreifen. Dieser Meinung sind auch Pythagoras
und vor ihm Trismegistus, welche behaupten, daß die verworfenen Seelen
oft in Reptilien und andere Tiere fahren. Solche Körper
beleben sie aber dann nicht als wesentliche Formen, sondern sie bewohnen dieselben
als Fremdlinge wie einen Kerker, oder sie hängen mit ihnen zusammen wie ein
Beweger mit seinem Beweglichen, oder auch sind sie zu ihrer Qual daran gebunden,
wie Ixion an das Schlangenrad, Sisypbus an den Felsen. Aber sie nehmen nicht
allein von Tieren, sondern bisweilen auch von Menschen Besitz, wie wir von der
Seele des Naboth bereits erwähnt haben, daß sie als Lügengeist ausging in dem
Munde der Propheten. Daher haben einige behauptet, wenn die Geister ruchloser
Menschen in die Körper anderer fahren, so befinden sich diese lange Zeit hindurch
unwohl und werden bisweilen von denselben getötet. Auch den seligen Menschengeistern
ist es vergönnt, daß sie gleich guten Engeln in uns wohnen und uns erleuchten
können, wie wir von Elias lesen, daß, nachdem er aus dem Kreise der Menschen
hinweggenommen worden, sein Geist über Elisa kam, und an einer ändern Stelle
lesen wir, Gott habe von dem Geiste, der in Moses war, genommen und den siebenzig
Männern gegeben. Es liegt hierin ein großes Geheimnis verborgen, das nicht leichtfertig
geoffenbart werden darf. Bisweilen werden die Seelen Verstorbener (was jedoch
höchst selten vorkommt) von einem solchen Wahnsinn ergriffen, daß sie nicht
bloß nach den Körpern Lebender trachten, sondern auch mit höllischer Gewalt
in ihre eigenen verlassenen Körper zurückkehren und gleichsam wieder auflebend
abscheuliche Dinge vollbringen. - (nett)
Seelenwanderung (11) Herakleides Pontikos schreibt dem Pythagoras als Äußerung, die er oft wiederholte, zu, er sei vor Zeiten schon auf Erden gewesen als Aithalides und für des Hermes Sohn gehalten worden; Hermes aber habe ihm erlaubt, zu wählen, was er nur immer wünsche, ausgenommen die Unsterblichkeit. So habe er sich denn die Gabe erbeten, alle Geschehnisse im Leben wie im Tode im Gedächtnis zu behalten. Alles nun, was er erlebt habe, sei ihm im Gedächtnis geblieben, aber auch nach seinem Tode sei ihm diese Gedächtnisstärke verblieben. Einige Zeit daraufsei er als Euphor-bos wieder auf Erden erschienen und von Menelaos verwundet worden. Euphorbos aber erklärte, er sei einst Aithalides gewesen; auch erzählte er von dem Geschenk, das er von Hermes erhalten, sowie von der Wanderung seiner Seele und von allen den Pflanzen und Tieren, in die er sich verwandelt, und von Erlebnissen der Seele im Hades sowie von dem, was die übrigen Seelen durchzumachen haben. Nachdem Euphorbos gestorben, sei seine Seele übergegangen in den Leib des Hermotimos, der seinerseits sich beglaubigen wollte und zu dem Ende sich zu den Branchiden begab; dort wies er nach seinem : Eintritt in den Tempel des Apollon auf den Schild hin, den Menelaos da aufgehängt hatte. Menelaos nämlich - so sagte er -habe nach seiner Abfahrt von Troja dem Apollon den Schild geweiht, der bereits stark vom Zahne der Zeit gelitten, so daß nur noch das elfenbeinerne Antlitz erhalten war. Nach dem Tode des Hermotimos sei er als delischer Fischer Pyrrhos wieder aufgetreten, und immer wieder habe er sich an alles erinnert, wie er vordem Aithalides, dann Euphorbos, sodann Hermotimos und weiterhin Pyrrhos gewesen. Nachdem Pyrrhos gestorben, sei er Pythagoras geworden und bewahre alles das Gesagte treu im Gedächtnis.
Einige behaupten, Pythagoras habe keine einzige Schrift hinterlassen; doch
sind sie im Irrtum. Denn Herakleitos der Physiker sagt in vernehmlichstem Tone:
„Pythagoras, des Mnesarchos Sohn, hat von allen Menschen am meisten sich
der Forschung beflissen, und nachdem er sich diese Schriften auserlesen, machte
er daraus eigene Weisheit: Vielwisserei, Rabulisterei." - (
diol
)
Seelenwanderung (12) Der Mythos von der Seelenwanderung
lehrt, daß alle Leiden, welche man im Leben über andere Wesen verhängt, in einem
folgenden Leben auf eben dieser Welt, genau durch die selben Leiden wieder abgebüßt
werden müssen; welches so weit geht, daß wer nur ein Thier tödtet, einst in
der unendlichen Zeit auch als eben ein solches Thier geboren werden und den
selben Tod erleiden wird. Er lehrt, daß böser Wandel ein künftiges Leben, auf
dieser Welt, in leidenden und verachteten Wesen nach sich zieht, daß man demgemäß
sodann wieder geboren wird in niedrigeren Kasten, oder als Weib, oder als Thier,
als Paria oder Tschandala, als Aussätziger, als Krokodil
u. s. w. Alle Quaalen, die der Mythos droht, belegt er mit Anschauungen aus
der wirklichen Welt, durch leidende Wesen, welche auch nicht wissen, wie sie
ihre Quaal verschuldet haben, und er braucht keine andere Hölle zu Hülfe zu
nehmen. Als Belohnung aber verheißt er dagegen Wiedergeburt in besseren, edleren
Gestalten, als Brahmane, als Weiser, als Heiliger. Die höchste Belohnung, welche
der edelsten Thaten und der völligen Resignation wartet, welche auch dem Weibe
wird, das in sieben Leben hinter einander freiwillig auf dem Scheiterhaufen
des Gatten starb, nicht weniger auch dem Menschen, dessen reiner Mund nie eine
einzige Lüge gesprochen hat, diese Belohnung kann der Mythos in der Sprache
dieser Welt nur negativ ausdrücken, durch die so oft vorkommende Verheißung,
gar nicht mehr wiedergeboren zu werden: Du wirst nicht wieder die erscheinende
Existenz annehmen (Chandogya-Upanishaâ); oder wie die Buddhaisten, welche weder
Veda noch Kasten gelten lassen, es ausdrücken: »Du sollst Nirwana
erlangen, d. i. einen Zustand, in welchem es vier Dinge nicht giebt: Geburt,
Alter, Krankheit und Tod.«
- (wv)
Seelenwanderung (13) Ungechickte Geographen, behauptete Mirzoza, die Favoritin des Sultans, finden die Seele im Kopfe, und die meisten Menschen sterben, ehe sie diese Stelle hewohnt, während sie noch in ihrem ersten Aufenthalt, in den Füßen ist.
In den Füßen? unterbrach sie der Sultan. Das ist der sonderbarste Gedanke, der mir jemals vorgekommen ist.
Ja, in den Füßen, erwiderte Mirzoza; und diese Meinung, die Ihnen so närrisch dünkt, darf man nur ergründen, um sie vernunftmäßig zu finden. CIrade umgekehrt verhält es sieh mit denen, die Sie für wahr annehmen und die man für falsch erkennt, wenn man .sie ergründet. Ihre Hoheit gaben mir eben zu, das Dasein unserer Seele gründe sich nur auf das innere Gefühl, welches wir darüber hegen; und ich will Ihnen beweisen, daß alle erdenklichen Gefühle die Seele an der Stätte festsetzen, die ich ihr anweise.
Das bin ich begierig zu hören, sagte Mangogul.
Ich verlange keine Schonung, fuhr sie fort. Ich bitte Sie-alle, mir Einwürfe zu machen. Also wie gesagt, der erste Wohnsitz der Seele sind die Füße. Dort beginnt ihr Dasein; denn durch die Füße geht sie in den Körper über. Ich berufe mich dieser Tatsache wegen auf die Erfahrung. Was ich sagen werde, wird vielleicht die erste Grundlage einer Experimental-Metaphysik.
Wir alle erfuhren in unsrer Kindheit, daß die uncntwickelte Seele, ganze Monate hindurch, in einem Zustande des Schlafes verweilt. Unsre Augen eröffnen sich, ohne zu sehn, unser Mund, ohne zu reden, unsre Ohren, ohne zu hören. Die Seele regt sich und erwacht an einer ganz ändern Stätte. Ihre ersten Kräfte zeigen sich an ändern Gliedern. Durch die Füße verkündigt das Kind seine Ausbildung. Leih, Kopf und Füße ruhen unbeweglich im Schoß der Mutter. Aber seine Füße werden lang und beweglich und offenbaren sein Dasein, vielleicht seine Bedürfnisse. Huckt die Stunde der Gehurt heran? was würde aus Kopf, Leib und Armen werden? Sie blieben ewig in ihrem Ge-
fängnisse, wenn die Füße ihnen nicht zu Hilfe kämen. Hier spielen die Füße die l lauptrolle und treibenden übrigen Leib hinaus. Dies ist die Ordnung der Natur, und will irgendwo ein andres Glied befehlen, tritt zum Beispiel der Kopf an die Stelle der Füße, so geht alles verkehrt, und Gott weiß, was darüber zuweilen aus der Mutter und dem Kinde wird.
Ist das Kind geboren, so bewegen sich wiederum an ihm vorzüglich die Füße. Man wird genötigt, sie zur Ruhe zu bringen, und dabei bezeigen sie sich immer etwas widerspenstig. Der Kopf ist ein Klotz. Aus ihm macht man, was man will. Aber die Füße fühlen, widerstreben ihren Banden und scheinen die Freiheit verteidigen zu wollen, die man ihnen raubt.
Kann das Kind endlich allein stehn, so strengen die Füße sich auf tausenderlei Art an, um sich zu rühren. Sie setzen alles in Bewegung. Sie befehlen den ändern Glicdmaßen. Und die gehorsamen I lande stützen sich gegen die Wand und schlagen sich vor, um einen Fall zu vermeiden und den Fortschritt der Füße zu erleichtern.
Wohin richten sich alle Gedanken eines Kindes, was sind seine Vergnügungen, wenn es sich fest auf den Beinen fühlt und seine Füße die Geschicklichkeit erlangt haben, sich zu bewegen? Es übt sich im Gehn, im Kommen, im Laufen, im Springen, im Hüpfen. Diese Unruhe gefällt uns, wir halten sie für ein Zeichen des Verstandes und erklären ein Kind für einfältig, wenn wir es träge und traurig sehn. Wollen Sie ein vierjähriges Kind betrüben, so lassen Sie es eine Viertelstunde lang sitzen oder halten es zwischen vier Stühlen gefangen. Dann wird es verdrießlich und ärgerlich. Denn Sie berauben nicht bloß seine Beine ihrer Bewegung, Sie kerkern seine Seele ein.
Bis ins zweite oder dritte Jahr bleibt die Seele in den Füßen. Im vierten
steigt sie in die Beine. Im fünfzehnten kommt sie in die Knie
und Lenden. Dann mag man tanzen, fechten, Wettrennen
und ändern heftigen Leibesbewegungen obliegen. Das ist die herrschende Leidenschaft
aller jungen Leute. Bei einigen steigt sie bis zur Wut. Und die Seele sollte
nicht an der Stätte wohnen, wo sie sich fast allein offenbart, wo sie ihren
angenehmsten Empfindungen nachhängt? - Denis Diderot, Die Verräter (Les
bijoux indiscrets). Frankfurt am Main 1992 (zuerst 1748)
Seelenwanderung (14) Auch die Edda, namentlich
in der Voluspa, lehrt Metempsychose. Nicht weniger war sie die Grundlage der
Religion der Druiden. Sogar eine Mohammedanische Sekte In Hindostan, die Bohrahs,
von denen Colebrooke ausführlich berichtet, glaubt an die Metempsychose
und enthält demzufolge sich aller Fleischspeise. Selbst bei Amerikanischen und
Negervölkern, ja sogar bei den Australiern finden sich Spuren davon, wie hervorgeht
aus einer in der Englischen Zeitung, tbe Times, vom 29. Januar 1841, gegebenen
genauen Beschreibung der wegen Brandstiftung und Mord erfolgten Hinrichtung
zweier Australischer Wilden. Daselbst nämlich heißt es: »Der jüngere von ihnen
gieng seinem Schicksal mit verstocktem und entschlossenem Sinn, welcher, wie
sich zeigte, auf Rache gerichtet war, entgegen: denn aus dem einzigen verständlichen
Ausdruck, dessen er sich bediente, gieng hervor, daß er wieder auferstehn würde,
als ‹ein weißer Kerl›, und dies verlieh Ihm die Entschlossenheit.« Auch in einem
Buche von Ungewitter, »Der Welttheil Australien«, 1853, wird erzählt,
daß die Papuas in Neuholland die Weißen für ihre eigenen, auf die Welt zurückgekehrten
Anverwandten hielten. - - Arthur Schopenhauer, Über den Tod und sein Verhältniß
zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens. In
(wv)
Seelenwanderung (15) Mir fiel
ein, daß der ängstlichen Scheu, die gewisse Volker davor haben, sich in Bildern
dargestellt zu sehen, der Glauben zugrunde liegt, daß, sobald sich das Bild
einer Person formt, die Seele in das Bild übergeht und
die Person stirbt. -
Adolfo Bioy Casares, Morels Erfindung. München 1965 (zuerst 1940)
Seelenwanderung (16) Nach der jüdischen Überlieferung kann sie in vier verschiedenen Situationen auftreten:
1. Als gilgul. Dabei kehrt die Seele eines Verstorbenen in einem neuen Körper zurück; ein zadik, so heißt es, kann sich an seine vergangenen Leben erinnern und seine künftigen voraussagen.
2. Als ibbur, eine Durchdringung, bei der eine abgeschiedene Seele einer lebenden zu helfen und dabei Ruhe zu finden versucht.
3. Die Wiedergeburt eines Menschen als Pflanze, Tier oder sogar leblose Materie - oft als Bestrafung für Sünden. Ehebruch kann zum Beispiel dazu führen, dass jemand in Gestalt einer Hündin auf die Erde zurückkehrt, Stolz kann zur Wiedergeburt als Wurm führen. Dieses Motiv findet in der chassidischen Folklore große Beachtung.
4. Besessenheit eines Menschen durch eine
schuldbeladene oder zornige Seele - siehe dibuk.
-
(ji)
Seelenwanderung (17) Seelenwanderung
Hier Finsternis und Schweigen! die Blutlachen sind wie Wolken gestaltet.
Blaubarts sieben Frauen sind nicht mehr im "Wandschrank. Nichts blieb von
ihnen als diese Flügelhaube aus Organdi! Dort in der Ferne aber! fern auf dem
Meer! siehst du die sieben Galeeren? sieben Galeeren:
ihr Tauwerk hängt aus dem Mastkorb ins Meer, wie Zöpfe über die Schultern von
Frauen. Sie kommen! sie nähern sich! sie sind da! - Max Jacob, Der
Würfelbecher. Frankfurt am Main 1968 (zuerst 1917/23)