Seeigel   Fräulein Zwida zeichnete gerade einen Seeigel. Sie saß auf einem kleinen Klapphocker, draußen am Ende der Mole. Der Seeigel lag umgedreht auf einem Stein, die Unterseite weit offen, die Stacheln eingezogen, vergeblich bemüht, sich wieder in die richtige Lage zu bringen. Die Zeichnung des Mädchens war eine Studie über das schleimige Innere des sich windenden Weichtiers, wie es sich ausdehnte und zusammenzog, angelegt in Helldunkel mit einer dichten, stacheligen Schraffierung ringsum. Meine geplante Gesprächseröffnung - etwas über die Form der Muscheln als trügerisch schöner Schein, als Hülle um die wahre Substanz der Natur - paßte nicht mehr. Der Anblick des umgedrehten Weichtiers sowie der Zeichnung flößte mir unangenehme Gefühle ein, ja Ekel, wie der Anblick offenliegender Eingeweide. Ich begann das Gespräch, indem ich sagte, nichts sei wohl schwerer zu zeichnen als ein Seeigel, denn sowohl die stachlige Hülle von oben als auch die Weichteile auf der Unterseite böten, trotz der radialen Symmetrie ihrer Struktur, kaum Anhaltspunkte für eine lineare Darstellung. Fräulein Zwida sagte, sie interessiere sich für das Motiv, weil es ein Bild sei, das in ihren Träumen wiederkehre, und sie wolle sich davon befreien.    - Italo Calvino, Wenn ein Reisender in einer Winternacht. München 2007 (Zuerst 1979)

Seeigel (2)

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