Schwulen-Gen   Das überzeugendste Indiz für die Existenz eines Schwulen-Gens ist die Tatsache, daß zweieiige Zwillinge, die im selben Mutterleib herangereift und im selben Haushalt aufgewachsen sind, nur mit einer Wahrscheinlichkeit von fünfundzwanzig Prozent beide homosexuell sind, eineiige Zwillinge unter denselben Bedingungen jedoch eine Chance von eins zu eins aufweisen. Wenn einer von beiden homosexuell ist, trifft dies mit einer fünfzigprozentigen Wahrscheinlichkeit auch für dessen Bruder zu. Außerdem gibt es Hinweise darauf, daß das Gen von der Mutter stammt und nicht vom Vater.

Wie kann ein solches Gen angesichts der Tatsache, daß Homosexuelle in der Regel keine Kinder haben, überleben? Darauf gibt es zwei mögliche Antworten. Die eine lautet: Das Gen erhöht in demselben Maße, in dem es beim Mann die Fruchtbarkeit einschränkt, die Fruchtbarkeit bei einer Frau. Die zweite Möglichkeit ist spannender. Laurence Hurst und David Haig von der Oxford University sind der Ansicht, das Gen liege vielleicht gar nicht auf dem X-Chromosom. X-Gene sind nicht die einzigen, die nur über die Mutter weitergegeben werden. Auch mitochondriale Gene werden auf diese Weise vererbt, und die Hinweise, die dafür sprechen, daß das Gen an eine Region auf dem X-Chromosom gekoppelt ist, sind bislang eher vage. Falls das Schwulen-Gen sich wirklich in den Mitochondrien befände, könnten Hurst und Haig mit einer genetischen Verschwörungstheorie aufwarten. Vielleicht ist das Schwulen-Gen so etwas wie jene »Männchenkiller«-Gene, die man bei vielen Insekten findet. Es sorgt für die effiziente »Sterilisierung« von Männchen und verursacht so eine Umlenkung erblichen Wohlergehens auf Weibchen. Das hätte (zumindest bis vor kurzem) den Reproduktionserfolg der Nachkommen jener weiblichen Verwandten erhöht, so daß sich das Schwülen-Gen hätte ausbreiten können. Wenn die sexuellen Präferenzen Homosexueller von einem Gen beeinflußt (wenn auch nicht völlig bestimmt) werden, dann ist es wahrscheinlich, daß dies auch für die sexuellen Präferenzen Heterosexueller gilt. Wenn aber unsere Sexualinstinkte in einem solchen Maße von Genen bestimmt werden, dann muß ihre Evolution durch natürliche und sexuelle Selektion erfolgt sein, und das bedeutet, sie müssen in ihrer Beschaffenheit davon gezeichnet sein. Sie sind angepaßt. Es gibt einen Grund dafür, daß schöne Menschen attraktiv sind. Sie sind es deshalb, weil andere Menschen Gene besitzen, die sie dazu veranlassen, schöne Menschen attraktiv zu finden. Die Menschen haben solche Gene, weil jene, die nach Schönheitskriterien vorgegangen sind, mehr Nachkommen hinterlassen haben als jene, die das nicht getan haben.   - Matt Ridley, Eros und Evolution. Die Naturgeschichte der Sexualität. München 1995 (zuerst 1993)

Schwuler Gen

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