Schwof

 

- N. N.

Schwof (2)  Sie landeten auf dem Dach des vierzig Etagen hohen Gemeinschaftswohnbaus Unter den Linden, wo Henry ein Appartement hatte, und begaben sich sogleich in den Speisesaal hinab. Inmitten einer fröhlich lärmenden Menge aßen sie eine vortreffliche Mahlzeit. Zum Mokkain wurde Soma serviert. Lenina nahm zwei Halbgrammtabletten, Henry drei. Um neun Uhr zwanzig gingen sie die Linden entlang in die neueröffnete Dom-Diele am Lustgarten hinüber. Die Nacht war mondlos und sternenklar, aber die beiden merkten glücklicherweise nichts von dieser im ganzen bedrückenden Tatsache, denn die Lichtreklamen hielten das nächtliche Dunkel mit Erfolg ab. »Hylton Vandervelde und seine sechzehn Sexofonisten.« Einladend flammten die Riesenlettern von der renovierten Fassade. »Berlins größte Duft- und Farbenorgel. Allerneueste synthetische Kondensmusik.«

Sie traten ein. Die Luft war fast beklemmend schwer von einem Duft nach Ambra und Sandelholz. Auf die Deckenkuppel des Saals hatte die Farbenorgel soeben einen Sonnenuntergang in den Tropen gemalt. Die sechzehn Sexofonisten spielten den alten Lieblingsschlager: »Du allersüßestes Fläschchen der Welt.« Vierhundert Tanzpaare steppten im Fünfschritt über das Parkett. Lenina und Henry bildeten bald das vierhunderterste. Die Sexofone miauten wie sangesfrohe Katzen im Mondschein, stöhnten lustersterbend im Alt und Tenor. Reich an Harmonien, schwoll ihr tremulierender Chor zum Höhepunkt an, lauter, immer lauter, bis endlich der Kapellmeister mit einem Wink den erschütternden Schlußakkord Äthermusik entfesselte und mit ihm die sechzehn nur menschlichen Bläser glatt aus dem Dasein strich. Donner in As-Dur. Und dann, bei fast völliger Stille, in fast völliger Finsternis, folgte ein allmähliches Abschwellen, ein Diminuendo, das durch Vierteltöne tiefer und tiefer zu einem hinge wisperten, lang gehaltenen Dominantakkord hinabsank, während der Fünfviertelrhythmus darunter weiter pochte und die Sekunden von Dunkelheit mit angespanntester Erwartung lud. Plötzlich explodierte ein Sonnenaufgang, und zugleich brachen die Sechzehn in Gesang aus:

Von dir, mein Fläschchen,
träum ich
Tag und Nacht.
Warum hat man dich jemals
Aufgemacht?
Der Himmel war blau,
Das Klima so lau,
Ich kenn keinen einzigen Ort,
Der mir besser gefallt
Als du, mein allersüßestes
Fläschchen der Welt.

Zusammen mit vierhundert andern Paaren fünfsteppten Lenina und Henry immer und immer wieder ringsherum in der Dom-Diele. Aber sie waren in eine andere Welt entrückt, die durchglühte, farbenfrohe, unendlich gütige Welt des Somarausches. Wie freundlich, wie nett und entzückend unterhaltsam alle Menschen zu sein schienen!

»Von dir, mein Fläschchen, träum ich . . .« Aber Lenina und Henry hatten schon, wovon sie geträumt. Sie fühlten sich geborgen, jetzt und hier, in einem Innern geborgen, im lauen Klima, unter zeitlos blauem Himmel. Als die Sechzehn endlich erschöpft ihre Sexofone weglegten und das Synthetofon den allerneuesten Verhütungsfreudenwalzer brachte, glichen sie Zwillingsembryos, sanft miteinander auf den Wogen eines in Flaschen abgefüllten Ozeans von Blutsurrogat geschaukelt. »Gute Nacht, liebe Freunde! Gute Nacht, liebe Freundinnen!« Die Lautsprecher verbargen ihren Befehl unter von Herzen kommender musikalischer Höflichkeit. »Gute Nacht. . .« Gehorsam verließen Lenina und Henry mit den andern das Gebäude. Die bedrückenden Sterne hatten ein tüchtiges Stück Wegs über den Himmel zurückgelegt. Und obgleich der schützende Schirm von Lichtreklamen zum größten Teil erloschen war, blieb dem jungen Paar auch weiter seine selige Unkenntnis der Nacht.

Eine zweite Dosis Soma, eine halbe Stunde vor Schlußzeit eingenommen, hatte eine undurchdringliche Mauer zwischen der rauhen Wirklichkeit und ihren Gemütern aufgerichtet. In einer Flasche verkorkt, überquerten sie die Straße; verkorkt fuhren sie mit dem Aufzug in Henrys Wohnung im achtundzwanzigsten Stockwerk hinauf. Aber trotzdem, daß Lenina verkorkt und ihr wie im Flaschenleib war, trotz dem zweiten Gramm Soma, vergaß sie doch nicht den vorschriftsmäßigen Empfängnisschutz. Jahrelanger gründlicher Schlafschulunterricht und malthusischer Drill dreimal die Woche vom zwölften bis siebzehnten Lebensjahr machten die Anwendung dieser Mittel fast zu einer unwillkürlichen, unvermeidlichen Reflexbewegung, wie Blinzeln.  - Aldous Huxley, Schöne neue Welt. Frankfurt am Main 1971 (zuerst 1932)

Schwof (3)

Der Kehraus

Ks fiedeln die Geigen,
Da tritt in den Reigen
Ein seltsamer Gast,
Kennt keiner den Dürren,
Galant aus dem Schwirren
Die Braut er sich faßt.

Hebt an, sich zu schwenken
In allen Gelenken.
Das Fräulein im Kranz:
»Euch knacken die Beine -«
»Bald rasseln auch deine,
Frisch aufspielt zum Tanz!«

Die Spröde hinterm Fächer,
Der Zecher vom Becher,
Der Dichter so lind,
Muß auch mit zum Tanze,
Daß die Lorbeern vom Kranze
Fliegen im Wind.

So schnurret der Reigen
Zum Saal 'raus ins Schweigen
Der prächtigen Nacht,
Die Klänge verwehen,
Die Hähne schon krähen,
Da verstieben sie sacht. -

So gings schon vor Zeiten
Und geht es noch heute,
Und hörest du hell
Aufspielen zum Reigen,
Wer weiß, wem sie geigen -
Hüt dich, Gesell!

- Joseph von Eichendorff

Schwof (4)   Im Lindenhof wird noch Bier über die Straße verkauft. Nur die Lmdenhofwirtin ist langsam von unten sacht von der Syphilis zwischen ihren schönen Schenkeln aufgefressen worden und kann nicht mehr lächeln wie einst im Mai, als die Syncopaters, von denen Paasch nicht viel hielt, zum Schwof aufspielten. Hier kam Flora in ihrer proletarischen Phase zuweilen auf ihre Kosten, ging sie abends mit dem Buckligen Richard von nebenan tanzen. Richards weißseidener Schal fiel auf in der Vorstadt, ein Schal nach der Mode der Zeit, nichts weiter, der ein weiches Herz fesch verbarg. Richard war ein guter Tänzer. Zwei feste Beine, die kein Marschbefehl je in Gang gesetzt hatte. - Fritz Rudolf Fries, Der Weg nach Oobliadooh. Leipzig 1993 (zuerst 1975)
 
 

Tanzvergnügen Berlin

 

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