chwimmer
Die verchromte Trillerpfeife eines Verkehrspolizisten erschien
zwischen den wulstigen Lippen, und die Pfiffe übertönten
das Getöse des Meeres, um den Schwimmer zu warnen.
Ginès vernahm die Warnung und strengte sich an,
um sich der Versuchung des Todes zu entziehen. Er schlug blind mit den
Armen auf das aufgewühlte Meer ein und lachte bis zum Stöhnen, wenn er
den höchsten Wellen die Fäuste ins geifernde Gesicht schlug. Sie machten
sich über seine Anstrengungen lustig, lösten ihn von der schwankenden Festigkeit
des Grundes aus weißem Sand und weißen Muscheln, hoben ihn mit trügerischer
Sanftheit hoch und zogen ihn aufs offene Meer hinaus. Oder sie trieben
ihn schräg seitlich ab, als wollten sie ihn ins Gully des Todes hinunterziehen.
Er schwamm zu einer Stelle, wo die Wellen schwächer waren, um eine Atempause
einzulegen und wieder sicheren Boden unter die
Füße zu bekommen. Als er aber zum Himmel aufblickte, mußte er feststellen,
daß dieser den Kampf gegen die Wolken verloren hatte. Die ganze Welt schien
sich gegen ihn verschworen zu haben, und er war hinter einer grauen, hoffnungslosen
Markise verschwunden. Dazu krachte ein Donner
wie eine Warnung aus dem Osten und ging fast nahtlos in einen warmen Regen
über, zuerst weich, dann wütend, wie Nadeln, die Ginès aufspießen wollten,
um ihn in seinem aussichtslosen Kampf gegen die Elemente aufsich selbst
zurückzuwerfen. Hier bleiben, bis zur Brust im Wasser, die Sintflut auf
sein Haupt niedergehen lassen, das Wasser des Himmels vermischen mit den
Tränenströmen aus seinen Augen. Er schluchzte immer hemmungsloser. Hinter
dem Vorhang von Regen
und Tränen lag das Meer und stellte ihn vor eine
Entscheidung: entweder er stieß zu den endgültigen Tiefen vor und versenkte
den dunklen Stein für immer, der sein Gehirn
ausfüllte, oder er kehrte an den Strand zurück und tauchte wieder ein in
die Dämmerung seiner vergeblichen Flucht. Trotz allem schenkte ihm das
warme Meer Geborgenheit, wie eine Decke, der Körper einer Frau oder das
Gefühl, an einem Herbsttag zu Hause zu sitzen, während draußen der Regen
prasselt. Aus den Regionen der Erinnerung tauchte
das Gesicht auf, es wuchs
und wuchs, bis es mit der Größe seines eigenen Kopfes
übereinstimmte, um dann darüber hinauszuwachsen, bis es das ganze Gesichtsfeld
ausfüllte und seine Züge von den Wellen verwischt
wurden.
«Encarna», murmelte er und brach vollends in Tränen aus, als hätte er
sich plötzlich damit abgefunden, daß er sich in einer versunkenen Stadt
verirrt hatte. - Manuel Vázquez Montalban, Die Rose von Alexandria.
Reinbek bei Hamburg 1987 (zuerst 1984)
Schwimmer (2) Von einem kleineren Felsbrocken
als dem, auf dem Chateau thronte, stieg Pnin mit ängstlichem Bedacht in
das braune und blaue Wasser. Er merkte, daß er immer noch die Armbanduhr
um hatte - nahm sie ab und steckte sie in einen seiner Gummischuhe. Langsam
die gebräunten Schultern schwingend, watete Pnin vorwärts, indes verschlungene
Blattschatten zitternd seinen breiten Rücken hinabrutschten. Er blieb stehen
und beendete das Spiel von Licht und Schatten, indem er seinen geneigten
Kopf befeuchtete, mit nassen Händen den Nacken rieb, erst die eine und
dann die andere Achselhöhle besprengte, sodann mit zusammengelegten Händen
ins Wasser glitt, und sein würdevoller Bruststil sandte kleine Wellen nach
beiden Seiten aus. Feierlich umrundete er das natürliche Becken. Er schwamm
mit rhythmischem Gesprotze - halb Gurgeln, halb Schnaufen. Rhythmisch zog
er die Beine an und spreizte sie zu den Knien hin, indes er die Arme bog
und streckte wie ein Riesenfrosch. Nach zwei Minuten kam er herausgewatet
und setzte sich zum Trocknen auf einen Felsen. Dann legte er Kreuz, Armbanduhr,
Gummischuhe und Bademantel wieder an. - Vladimir Nabokov, Pnin.
Reinbek bei Hamburg 2004 (zuerst 1957)