chwiegertochter
Seine Schwiegertochter Agrippina, die nach ihres Mannes Tod
heftige Klagen gegen ihn vorbrachte, ergriff Tiberius einmal bei
der Hand und rief ihr einen griechischen Vers zu: „Glaubst du, weil du nicht
herrschest, Töchterchen, daß dir Unrecht geschieht?" Bald würdigte er sie
überhaupt keines Gespräches mehr. Als sie aber einmal bei Tisch von dem Obst,
das er ihr reichte, nicht zu essen wagte, lud er sie auch nicht mehr zur Tafel
ein, indem er vorgab, sie beschuldige ihn des Giftmordversuchs.
Und doch war beides eine abgekartete Sache. Tiberius seinerseits wollte sie
dadurch, daß er ihr jenes Obst anbot, auf die Probe stellen, während Agrippina
gewarnt war, davon zu essen, als sei es ihr sicheres Verderben. Zuletzt beschuldigte
er sie, daß sie bald zu der Statue des Augustus, bald zum Heere ihre Zuflucht
zu nehmen beabsichtige. Infolgedessen verbannte er sie auf die Insel Pandataria.
Als sie sich in Beschimpfungen gegen ihn erging, ließ er sie durch einen Centurio
mit Schlägen mißhandeln. Hierbei wurde ihr ein Auge ausgeschlagen. Als sie sodann
freiwillig Hungers zu sterben beschloß, befahl er, ihr gewaltsam den Mund aufzusperren
und Speise hineinzustopfen. Aber Agrippina verharrte bei ihrem Vorsatz und starb
diesen Tod. Noch über ihr Grab hinaus verfolgte sie Tiberius mit den allergehässigsten
Anschuldigungen und beantragte sogar im Senat, ihren Geburtstag unter die Unglückstage
im Kalender aufzunehmen. Er bezeichnete es noch als einen besonderen Akt seiner
Gnade, daß er sie nicht mit dem Strick habe erdrosseln
und die Gemonien1 hinabwerfen lassen. - (
sue
)
1 "Seufzertreppe",
steiler Stufenpfad vom Aventin zum Tiber. Zu ihr wurden
die Leichen bestimmter, besonders ehrloser Verbrecher vom Henker mit Haken herangeschleift,
um dann über sie in den Tiber gestürzt zu werden.