chwerelosigkeit  In den ersten Tagen der Reise hatte Mör fast das Gefühl, zur reinen Jugend zurückgekehrt zu sein. Das Vergnügen, im Zustand der Schwerelosigkeit zu masturbieren, erfüllte seine Abende mit anmutigen und fügsamen Präsenzen; zu dieser neuen, ungestörten Verfügbarkeit trug auch das völlige Fehlen von Geräuschen, Zeitungen und zu moralischer Überwachung neigenden Gesprächspartnern bei. - J. Rodolfo Wilcock, Das Stereoskop der Einzelgänger. Freiburg  1995 (zuerst 1972)

Schwerelosigkeit (2)  Soweit bekannt, gibt es bislang keine Studien zum Geschlechtsverkehr zwischen Menschen im Weltraum. Ebenso liegen keine Hinweise zu praktiziertem Sex zwischen Astronauten im All vor. Im Jahr 2001 stellte der russische Kosmonaut Talghat Mussabajew in einem Interview der Zeitung Rossijskaja Gaseta fest, dass es entgegen anderslautenden Gerüchten bislang nicht zu Geschlechtsverkehr im All gekommen sei. Der deutsche Astronaut Ulrich Walter sagte im Jahr 2011: „Seien Sie also getrost, Sex im Shuttle und auf dem amerikanischen Teil der Raumstation hat es nie gegeben.“

Aufsehen erregte im Jahr 2010 ein Bericht des Wissenschaftsautors Pierre Kohler in dessen Buch La Dernière Mission, unter anderem berichtete The Guardian dazu. Hier wurde auf eine NASA-Dokumentation (Nr. 12-571-3570) verwiesen, die am 28. November 1989 bei einer Usenet-Gruppe (alt.sex) veröffentlicht worden war und der zufolge 1996 von Astronauten auf einer STS-Mission verschiedene Sexstellungen getestet wurden. Der NASA-Bericht stellte sich später als Hoax heraus. Bereits im März 2010 hatte der Pressesprecher der NASA, Brian Welch, das Dokument als allgemein bekannte urban legend bezeichnet.

Studien zum Geschlechtsverkehr im All wurden allerdings mehrfach an Tieren durchgeführt. So wurde von russischen Wissenschaftlern die Auswirkung der Schwerelosigkeit auf das Sexualleben von Tieren an Bord des Raumflugkörpers Foton-M untersucht. Der Satellit transportierte Geckos, Fruchtfliegen und Mikroben. Er war am 19. Juli 2014 gestartet und verblieb statt geplanter acht nur sechs Wochen im Weltraum (rund 500 Kilometer über der Erdoberfläche). Die Fruchtfliegen hatten sich vermehrt; die Geckos waren aufgrund technischer Probleme erfroren.  - Wikipedia

Schwerelosigkeit (3)  Wer beschreibt das Stilleben auf der Erdumlaufbahn? Wenn der Mensch meint, er habe nun alles angebunden, magnetisiert, befestigt, mit Tesafilm festgeklebt, beginnt ein wahrer Geistertanz, das Ausschwärmen der Filzstifte und Brillen, lockere Kabelenden winden sich wie Eidechsen, und das Schlimmste sind die Krümel. Die Jagd mit dem Staubsauger auf Zwieback... Und die Haarschuppen? Das wird verschwiegen, diese Kulissen der kosmischen Schritte der Menschheit. Nur Kinder fragen als erstes, wie man auf dem Mond pinkelt...

Die Berge wuchsen, braun, ruhig, schwer und gewissermaßen vertraut. Eine der besseren Gegenden der Erde. Die Straße änderte ihre Richtung, die Sonne schob sich in Quadraten durch das Wageninnere, und auch das ließ mich an den stummen, majestätischen Umlauf der Lichter in der Kabine denken. Der Tag inmitten der Nacht, eines zusammen mit dem anderen, wie vor der Erschaffung der Welt, und der Traum vom Fliegen, der Wirklichkeit wird, und die Verwirrung, die Verblüffung des Körpers, daß es so ist, wie es nicht sein kann. Ich habe Vorträge über die See- und Luftkrankheit gehört, mir aber mein Teil dabei gedacht. Das waren keine gewöhnlichen Übelkeiten, das war eine Panik des Gedärms und der Milz, die gewöhnlich nicht spürbaren Eingeweide gerieten durcheinander und meldeten Protest an. Sie taten mir geradezu leid. Während wir uns am Kosmos erfreuten, wurde unseren Körpern von ihm unwohl. Sie konnten ihn nicht vertragen. - Stanislaw Lem, Der Schnupfen. Frankfurt am Main 1979

Schwerelosigkeit (3)   Er ging einfach aus dem Haus, stieg in seinen Wagen und war weg.

Nashe hatte keinen bestimmten Plan. Allenfalls schwebte ihm vor, sich eine Weile treiben zu lassen, von einem Ort zum anderen zu fahren und abzuwarten, was sich ergeben würde. Er nahm an, nach ein paar Monaten würde er genug davon haben, und dann würde er sich hinsetzen und sich Gedanken machen, was er als nächstes tun sollte. Aber zwei Monate gingen dahin, und er war noch immer nicht bereit aufzugeben. Mit der Zeit war ihm sein neues, freies und unverantwortliches Leben ans Herz gewachsen, und von da an gab es keinen Grund mehr aufzuhören.

Geschwindigkeit war das Wesentliche; das Vergnügen, im Auto zu sitzen und immer vorwärts durch den Raum zu jagen. Das wurde ihm wichtiger als alles andere, wurde zu einem Hunger, der um jeden Preis gestillt werden mußte. Nichts um ihn währte länger als einen Augenblick, und da ein Augenblick auf den anderen folgte, schien er selbst das einzige, was weiterexistierte. Er war ein Fixpunkt in einem Wirbel von Veränderungen, ein Körper, der vollkommen stillstand, während die Welt durch ihn hindurchstürzte und verschwand. Das Auto wurde zu einem Heiligtum der Unverletzlichkeit, zu einer Zuflucht, in der nichts mehr ihm etwas anhaben konnte. Solange er fuhr, war er unbelastet, wurde von keinem noch so kleinen Teil seines früheren Lebens behindert. Was nicht heißen soll, daß keine Erinnerungen in ihm hochstiegen, nur schienen sie nichts mehr von den alten Qualen mit sich zu bringen. Vielleicht hatte die Musik etwas damit zu tun, die endlosen Kassetten mit Bach und Mozart und Verdi, denen er hinterm Steuer lauschte, als kämen die Töne irgendwie aus ihm selbst heraus, überschwemmten die Landschaft und machten die sichtbare Welt zu einer Projektion seiner eigenen Gedanken. Nach drei oder vier Monaten brauchte er nur noch in den Wagen zu steigen, und gleich hatte er das Gefühl, sich aus seinem Körper zu lösen, und sobald er den Fuß aufs Gaspedal drückte und losfuhr, glaubte er sich von der Musik in ein Reich der Schwerelosigkeit getragen.  - Paul Auster, Die Musik des Zufalls. Reinbek bei Hamburg 1996

Schwerelosigkeit (4)  Mit dem Helm am Kopf ist er neben seinem Moped gestanden und hat sich gefühlt wie ein umgekehrter Astronaut. Weil die Astronauten ja immer weiß Gott wie schwerelos im Weltall, und der Brenner hat es jetzt büßen müssen, weil das Gewicht, das die Astronauten der verschiedensten Länder über die Jahrzehnte im Weltall gelassen haben, wenn sie schön schwerelos herumgesegelt sind, das muss ja irgendwo hingekommen sein, so ein Gewicht verschwindet doch nicht einfach. Jetzt hat der Brenner gespürt, wie das ganze Gewicht von den verschiedensten Astronauten, früher nur amerikanische und russische, später alle möglichen Astronauten, einer schwereloser als der andere, und heute die Millionäre, die müssen ja auch noch das Weltall mit ihrer Schwerelosigkeit beehren, aber keiner macht sich Gedanken, wo das Gewicht hingeht, das sind ja zusammengerechnet Tonnen und Abertonnen, und der Brenner hat jetzt gespürt, wie der ganze Gewichtsmüll in dem Moment, wo er von seinem Moped gestiegen ist, in ihn hineingefahren ist.

Aber ich sage immer, nichts hat nur Nachteile. Ein Schwereloser hat zum Beispiel Probleme, wenn er eine Wohnungstür eindrücken soll. Und der Brenner hat sich jetzt mit seinem durch wochenlange Schlaflosigkeit und jahrzehntelange internationale Schwerelosigkeit zusammengesammelten Gewicht nur ein bisschen an die Heinz-Tür lehnen müssen, und schon war er drinnen.

Weil so ist es im Leben. Die Lungenärzte sind selber die größten Kettenraucher. Die Lehrer nehmen heimlich die Finger zum Rechnen. Die Päpste haben den besten Sex miteinander. Und der Major Heinz, der viel in der öffentlichen Aufklärung, Verbrechensvorbeugung und so weiter im Einsatz war, hat wieder ein saumäßig schlechtes Schloss gehabt. - Wolf Haas, Das ewige Leben. Hamburg 2003

Schwerelosigkeit (5)  Es kam der Halbschlaf, in dem nur Passivität die Reste des Wachseins fortblasen kann. Irgendwelche Phantome erschienen mir bereits. Ich flog durch die Luft. Interessant, von solchem Segeln träumte ich genauso wie vor dem Aufenthalt auf der Orbitalstation. Als ob die hartnäckigen Katakomben meines Gehirns Korrekturen durch die Erfahrung nicht zur Kenntnis nehmen wollten. Das Fliegen im Traum ist unwahr, denn der Körper behält seine normale Lage bei, und die Arm- und Beinbewegungen sind ebenso einfach wie im Wachen, nur flüssiger und leichter. In Wirklichkeit ist es ganz anders. Die Muskeln geraten völlig durcheinander. Du willst etwas fortschieben, statt dessen fliegst du selbst rückwärts, du willst dich setzen und ziehst statt dessen die Knie unter das Kinn, bei einer unvorsichtigen Bewegung kann man sich selbst mit den Knien k.o schlagen. Der Körper benimmt sich wie besessen und ist nur enthemmt, befreit von dem segensreichen Widerstand, den ihm die Erde stets leistet. - Stanislaw Lem, Der Schnupfen. Franjfurt am Main 1979

 

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