chweineschrei
Der Vater war in die Maschine gekommen. Immer wieder hieß es, er
sei in die Maschine gekommen. Als hätten sie nur eine Maschine gehabt. Es war
der Feinbrecher. Wie immer es geschehen konnte, er ist mit dem Arm in das Mahlwerk
gekommen, die Maschine hat ihn regelrecht gefressen, und er ist verblutet. Er
hat geschrien wie ein Schwein. Das war der Satz: Er hat geschrien wie ein Schwein.
Später gab es Stimmen, die sagten, ja, sie hätten es gehört. Aber warum war
keiner zu Hilfe gekommen? Weil es das Natürlichste, das Normalste, das Gewohnte
auf diesem Hof war: die Schreie der Schweine. Bei rund eintausendzweihundert
Schweinen und täglichen Schlachtungen auf diesem Hof, da interpretiert man doch
einen einzelnen Schrei nicht mehr heraus. Das hatte der Felber gesagt, der Schlachtmeister.
»Herausinterpretieren« hat er gesagt. Aber wieso weiß man dann, dass er geschrien
hat wie ein Schwein? Er muss doch geschrien haben - das haben alle gesagt. Da
waren sich alle einig. Er muss unglaublich geschrien haben. Aber nur kurz. Man
verliert da ja sehr schnell das Bewusst-sein. Das war es eben. Es geht so schnell.
Natürlich begreifen die Schweine etwas, wenn sie - aber ruck, zuck sind sie
betäubt. Und schon frisst sie die Maschine. So fleißig ist der Vater gewesen,
hat zwischendurch noch liegengebliebene Tierabfälle zermahlen wollen. Der Betrieb
war damals zwar schon unglaublich gewachsen, aber noch nicht so logistisch perfekt
durchorganisiert wie heute. Die Mutter hat den Arzt angerufen, aber sie war
natürlich völlig von Sinnen - und hat den Dr. Scharzahl angerufen, den Tierarzt.
Aber es war ohnehin schon alles zu spät. Einige Tage später hat der sechzehnjährige
Martin in der Schule lachend erzählt, dass die Mutter den Dr. Scharzahl gerufen
hat, und als keiner gelacht hatte, noch einmal: den Scharzahl zum Schweinebauern.
- Robert Menasse, Die Hauptstadt.
Berlin 2017
Schweineschrei (2)
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