chwalbe
Im Kommentar zur Genesis hat Martin Luther eigene
Ansichten über das Verhalten der Schwalben entwickelt: Er glaube nicht, daß
diese Vögel in südliche Länder zögen, wisse man doch aus Erfahrung, daß die
Schwalben den Winter über tot im Wasser lägen und im Frühjahr wieder zum Leben
erwachten. Dies sei ohne Zweifel als gewichtiger Beweis für die Auferstehung
der Menschen zu werten. Er glaube daher, daß Vögel entweder in Bäumen oder im
Wasser überlebten. Diese Geschöpfe göttlicher Majestät seien wunderbar; zwar
sehe man sie, verstehe sie aber nicht. - Colin Eisler, Dürers Arche Noah. Tiere und Fabelwesen im Werk
von Albrecht Dürer. München 1996 (zuerst 1991)
Schwalbe (2) Man sagt, dieser Vogel bedeute den Tod junger Menschen, ferner Trauer und große Trübsal; die Sage erzählt nämlich, daß der Vogel infolge dieser Leiden entstanden sei34'. Nun vertreten Alexander von Myndos und auch Dionysios von Heliopolis den Standpunkt, man müsse diesen Geschichten Glauben schenken. Selbst wenn eine solche erfunden sei, so argumentieren sie, würde auf Grund der Vorstellung, daß ihr Inhalt der Wirklichkeit entspreche, die Seele uns ebendiese vor Augen stellen, wenn sie ein künftiges, inhaltlich ähnliches Geschehen voraussagen will.
Bei den meisten Geschichten ist diese Erklärung, wie ich festgestellt habe, zutreffend, keineswegs aber bei allen. Weil ich es mir aber zum Grundsatz gemacht habe, in jedem Fall mich nicht von der Scheinbarkeit der Behauptungen leiten zu lassen, sondern von der Erfahrung, welche aus den Traumerfüllungen resultiert, so erkläre ich auch jetzt bezüglich der Schwalbe, daß sie nicht von übler Vorbedeutung ist, ausgenommen, es widerfahre ihr etwas Schreckliches oder sie wechsele ihre Farbe in eine solche, die wider ihre Natur ist. Denn ihr Gezwitscher ist kein Klagegesang, sondern ein Lied, welches Signal und Aufforderung ist, an die Arbeit zu gehen. Daß dies wahr ist, kann man aus folgendem erkennen. Im Winter fliegt weder die Schwalbe noch zwitschert sie, und auch Land und Meer liegen in dieser Jahreszeit brach, und die Menschen und alle anderen Lebewesen verkriechen sich und sind untätig. Naht aber der Frühling, so ist sie als erste wieder da und lehrt sozusagen, was jeder zu tun hat. Und wenn sie sich zeigt, singt sie niemals abends, sondern in der Früh bei Sonnenaufgang und erinnert alle, die sie (schlafend) antrifft, an ihr Tagewerk.
Sie ist folglich von guter Vorbedeutung im Hinblick auf Arbeiten, Unternehmungen
und die Musik, in ganz besonderer Weise aber bezüglich einer Ehe; sie prophezeit
dem Träumenden eine treue und haushälterische Ehefrau und zumeist, daß letztere
eine Griechin und eine musikalisch begabte Person sein wird. Die Nachtigall
bedeutet dasselbe wie die Schwalbe, nur in geringerem Maß; denn sie ist weniger
zutraulich. - (art)
Schwalbe
(3)
Schwalbe (4) Liebe kleine Schwalbe Ich sah dich heute früh vom Fenster aus und schreibe dir nun, was vielleicht zwecklos ist, da dich der Brief kaum erreichen wird und du ja im übrigen leseunkundig bist. Auch stehst du gar nicht im Adreßbuch, wohnst aber sicher im versteckten Nest allerliebst, wo du schläfst und träumst. Glaubst du, daß ich dich um deine Haushaltung beneide? Apropos: du findest doch immer genügend Futter? Was machen die Jungen? Ich zweifle nicht, daß du ihnen eine gute Mutter bist und sie so erziehst, wie sich's schickt, d. h. denkbar gediegen. Solches fraglich finden, hieße dich kränken, und wer mochte das tun? Ich bestimmt nicht.
Wie schön war's, dir zuzuschauen. Du taumeltest mit
deinen Kameradinnen im silbernen Licht, im göttlichen Luftmeer,
stürmtest und jagtest hin und her, stiegest ins Luftgebirge hinauf, um
senkrecht niederzustürzen, als wärest du ohnmächtig geworden und
wolltest mit zerschlagenen Flügeln am Boden liegen, wovon zum Glück
keine Rede ist, denn du hieltest dich ständig im Gleichgewicht und im
Besitz der Schwungkraft. Die Furcht, du würdest dich im jähen Flug an
Mauer und Schornstein stoßen, erwies sich als überflüssig. So unbesonnen
du schienest, so wundersam gabst du acht, und so flogest du bald im
Kreise, bald schnurgerade, bald in Wellenlinien, und ich hörte dein
Stimmchen dabei, das mit deiner Lebensweise so zart übereinstimmt und
mehr nur ein leises Schreien als ein Singen ist. Du redest eben, wie du
kannst und mußt. Doch wer nimmt es in der Geschwindigkeit mit dir,
Tänzerin, auf, die nicht müde wird und gar keiner Füße bedarf? Was
unsereins unter zielbewußt versteht, bist du kaum, und dennoch zielst du
gut und bist wohl auch fröhlich und glücklich? Weshalb das
Fragezeichen? Wir am Boden haftenden, von Befürchtungen gefesselten,
schwerfälligen Menschen wissen nichts von beschwingtem Dasein.
Ich hoffe, daß es dir bei uns gefällt und bitte dich, ja recht lang zu
zögern, eh' du wegziehst, denn wenn du gehst, wird es kalt; doch
einstweilen bist du da, und solange das der Fall ist, haben wir
Sommer. - Robert Walser, nach
(arc)
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