Schurke, treuherziger Man hätte seinen Blick kennen müssen, vielleicht hatte er eine bezaubernde Art, den Kopf gegen seine Schulter zu neigen, seinen langen Zeigefinger listig an die Nase zu legen, oder vielleicht überfiel ihn manchmal, zwischen zwei glatten Lügen, ein kurzer Anfall von Gewaltsamkeit, den er sofort unterdrückte. Aber er ist tot: es bleibt von ihm ein Traité de Stratégie und Réflexions sur la vertu.

Wenn ich mich gehenließe, könnte ich ihn mir so gut vorstellen: unter seiner brillanten Ironie, die so viele Opfer gefunden hat, ist er ein Simpel, fast ein Naiver. Er denkt wenig, aber bei jedem Anlaß tut er, auf Grund einer inneren Eingebung, genau das Richtige. Seine Schurkerei ist treuherzig, spontan, ganz großzügig, ebenso aufrichtig wie seine Liebe zur Tugend. Und wenn er seine Wohltäter und seine Freunde ordentlich verraten hat, wendet er sich noch einmal ernsthaft den Ereignissen zu, um die Moral aus ihnen zu ziehen. Er hat nie gedacht, daß er das geringste Recht auf die anderen hat noch die anderen auf ihn: die Geschenke, die das Leben ihm macht, hält er für ungerechtfertigt und grundlos. Er verbindet sich eng mit jedem Ding, löst sich aber auch leicht davon. Und seine Briefe, seine Werke hat er nie selbst geschrieben: er hat sie vom öffentlichen Schreiber verfassen lassen.   - Jean-Paul Sartre, Der Ekel. Reinbek bei Hamburg 2004 (zuerst 1938)

 

Schurke Treuherzigkeit

 

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