chuld
Die Histrionen vertreten die Ansicht, daß jede Untat zwei Schuldige habe, den
Täter und das Opfer. Ihre Ansicht begründen sie mit der Geschichte von Kain
und Abel. 'Das Opfer', heißt es bei ihnen, 'schreitet zur Tat, der Täter zur
Schlachtbank.' Abel, so heißt es, habe Kain gerufen (denn in den Schriften steht:
so ruhet die Sünde vor der Tür und nach dir hat sie Verlangen), und Kain habe
nur das Urteil vollstreckt, das Abel über sich selbst verhängt habe. Jede Untat,
behaupten die Histrionen, ist nur eine Sühne für vergangenes Unrecht, und da
sie offenbar wird, wiegt sie leichter als ihre Ursache, die im verborgenen bleibt.
'Wie schwer', fragen die Histrionen, 'muß Abel gesündigt haben, daß seine Tat
nur durch einen Mord gesühnt werden konnte!'
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N.N.
Schuld (2) »Du hast es geschafft«, sagt mein Lehrer flüsternd, »du hast sie auf dem
Gewissen. Du hast mich dazu gebracht, daß ich brüllen
mußte. Ja du hast sie auf dem Gewissen, weil ich brüllen mußte. Und weil du
mich dazu gebracht hast, sind durch mein Gebrüll ein lediger und ein verheirateter
Schornsteinfeger vor Schreck vom Dach aus in den Schornstein gestiegen und runtergefallen
bis in den Keller. Es geht ihnen nicht gut«, sagt mein Lehrer flüsternd, »du
hast es geschafft!« -
Günter Bruno Fuchs, Reiseplan für Westberliner anläßlich einer Reise nach Moskau
und zurück. Handbuch für Einwohner N° 2. München 1973