Schulaufsatz  Nicht zu ausgelassenem Gelächter allein ist der dolle Villon da. Solche Kerle haben alle Hände voll zu tun. Pfarramtskandidaten, die lieber zurück zur Universität als hinauf in die braunen Einöden der Gemeinde wollen, Maulaffen, Schlangenbeschwörer, Musikanten, die ihre Suffschulden mit Liedern bezahlen, Pferdejungens, Stromer, Soldaten, die ihre Nase lieber in Weinkrüge als in Sturmhelme stecken, all diese verdammten Burschen, diese Luder der Not, trocken und schwarz wie Schornsteinfegerbesen, die das Brot nur im Schaufenster der Bäcker sehen, denen der Frost gehörig einheizt und die Gliedmaßen blaufärbt -: dieses himmlische Pack hat sich François Villon zum Schutzpatron gewählt. Solche Kerle, die die Welt zwischen den Zähnen haben, werden nie eine bessere Nährmutter als den Villon finden ... Er und seine Genossen, die von hundert Gendarmen umspukten Teufel, werden als frischer Rosenkranz von Gehängten an den Armen des Waldes pendeln, verlacht vom Mond, umheult von den Wölfen und angespien von dem nichtsnutzigen Regen des Oktobers ... Wir alle weinen Tränen über diese von hinterlistigen Gesetzen verdammten Engel. Wenn Ihr dem Villon seine lustigen Balladen lest und daran denkt, weshalb man diesem lustigen Schreiber den Kopf nach hinten gedreht hat - Ihr werdet Euer Leben lang die Erschütterung nicht mehr aus dem Blut bannen können ... Überlegt Euch doch einmal dies: wie traurig ist der Henkerstrick im Mai, wenn alles trillert, wenn alles ausschlägt, wenn den Kommunikantinnen die kleinen Äpfel unter der Bluse wachsen und unter den Achseln der junge Flaum mit dem Flieder um die Wette duftet, wenn die Sonne auch auf die verschimmelten Mauern strahlt, ein Spatz dem Großvater die Watte aus den Ohren zupft und der Schnee in den Mulden schwarze Erde trinkt ... Und dann gehängt werden für einen Freitisch! Teufel -: diese Welt ist um ein Jahrtausend in den Gesetzbüchern und in den Pfaffenkutten stehengeblieben und fault!   - Arthur Rimbaud, nach: Paul Zech, Rimbaud - Das trunkene Schiff. Berlin 1987

Schulaufsatz (2)  Geheimnisse der surrealistischen Zauberkunst. Surrealistischer Schulaufsatz, oder wie man ihn entwirft und ausarbeitet: Beschaffen Sie sich Schreibzeug, setzen Sie sich an einen Platz, wo Sie sich möglichst ungestört in sich selbst versenken können, entspannen Sie sich völlig, seien Sie ganz passiv und so hinnehmend und aufnahmebereit wie möglich! Lassen Sie sich nicht durch den Gedanken an Ihre etwaige Genialität beirren! Sehen Sie von Ihren eigenen und den Talenten aller anderen Menschen ab! Sagen Sie sich eindringlich, daß die Schriftstellerei der trübseligste Weg ist, der zu allem führt! Schreiben Sie rasch nieder, was Ihnen einfällt, und besinnen Sie sich gar nicht auf ein Thema! Schreiben Sie so schnell, daß Sie sich überhaupt nicht versucht fühlen, vom schon Geschriebenen etwas behalten zu wollen oder es noch einmal durchzulesen! Der erste Satz kommt Ihnen ganz von selbst. Wie es mit dem zweiten geht, läßt slch zwar schon schwerer sagen . . . Doch machen Sie sich darüber keine Sorgen! Schreiben Sie einfach unentwegt weiter! Verlassen Sie sich ganz auf die Unerschöpflichkeit des Wisperns und Raunens in Ihnen! Und wenn dies doch einmal zu verstummen droht, etwa weil Sie über einen Schreibfehler stolpern . . . oder ein Wort, das Sie schrieben, Ihnen äußerst befremdlich vorkommt, dann schreiben Sie einfach irgendeinen Anfangsbuchstaben, z. B. ein L, gerade immer nur ein L, und stellen die anfängliche Willkürlichkeit dadurch wieder her, daß Sie dieses L dem beliebigen Wort, was Ihnen  sogleich in die Feder fließen wird, als Anfangsbuchstaben aufnötigen ....  - André Breton, Surrealistisches Manifest. Nach: Maurice Nadeau, Geschichte des Surrealismus. Reinbek bei Hamburg 1986 (rde 437)

Schulaufsatz (3)  Detlev liebt Fräulein Leitl. Er will sich ihr verständlich machen. Als die Klasse einen Aufsatz schreiben soll über das Thema »Was für Bücher möchte ich besitzen?«, lügt er nicht und schreibt: Karl May, Fritz Steuben, Felix Dahn, »Hitlerjunge Quex«, »Mein Kampf«, »Der Mythus des Zwanzigsten Jahrhunderts«. Detlev kann sich nicht vorstellen, daß Fräulein Leitl dies Thema gegeben hat, um die Klasse im Auftrag der Partei auszuhorchen und er schreibt:

Nietzsches Sämtliche Werke und Hebbels Sämtliche Werke. Aber Fräulein Leitl hat ihn nicht verstanden und gibt ihm eine Fünf und liest den Aufsatz der Klasse vor und Ove Müller Neff nennt Detlev jetzt »Nischhöwel«.

Beim nächsten Aufsatz ist Detlev vorsichtiger.

»Was für einen Beruf werde ich ergreifen?«

- Klempner nicht.

- Was für einen Beruf werde ich ergreifen?

- Ich werde überhaupt keinen Beruf ergreifen!

- Früher wollte ich Boxer werden.

- Wenn ich noch Zeit dazu hätte: Komponist.

- Soll ich »Schuster« schreiben oder »Doktor«? Bald ist alles vorbei und es gibt nicht einmal mehr Kühe und Schweine für das Leder der Schuhe. Detlev schreibt, daß er König werden will.

- Da ich nicht von adeligem Geblüt bin, bleibt mir nichts andres übrig, als eine Königin zu heiraten. Dann werde ich automatisch König.

Fräulein Leitl gibt ihm wieder eine Fünf und liest den Aufsatz, wie es Detlev erwartet hat, wieder der Klasse vor. Dieter Brinkmann nennt Detlev jetzt »Nischhöwel, der automatische König«.

Detlev hat sich an Decknamen, hinter denen er verborgen bleibt, gewöhnt.  - Hubert Fichte, Detlevs Imitationen "Grünspan".  Frankfurt am Main 2005 (zuerst 1973)

Schulaufsatz (4, Herbst 1941)  ich kann mich nicht erinnern, daß der Stdienrat uns ernsthalft unterrichtete. Einige Aufsatzthemen fallen mir ein: «Hochzeitsvorbereitungen bei den Zulus.» Oder: «Das Schicksal einer Konservendose.» Oder: «Als ich noch ein Malzbonbon war und im Munde eines kleinen Mädchens immer kleiner wurde.» Es kam dem Studienrat wohl darauf an, unsere Phantasie zu füttern; und da unter vierzig Schülern in der Regel zwei Schüler Phantasie besitzen, durften achtunddreißig Tertianer dosen, während zwei Tertianer - ein anderer und ich - das Schicksal der Konservendose aufrollten, den Zulus originelle Hochzeitsbräuche andichteten und einem Malzbonbon nachspionierten, der im Mund eines Mädchens immer kleiner wurde.
Dieses Thema beschäftigte mich, meinen Mitschüler und den Studienrat Brunies vierzehn Tage lang oder langer. Knollig und tausendfach ledern hockte er hinterm abgegriffenen Pultholz und machte, um uns zu inspirieren, das Saugen, Suckeln und Saftziehen nach. Einen imaginären Malzbonbon ließ er von einer Backe in die andere ziehen, er verschluckte ihn beinahe, verminderte ihn mit geschlossenen Augen, ließ den Bonbon sprechen, erzählen; kurz, Studienrat Brunies war zu einer Zeit, da Süßigkeiten rar und bewirtschaftet waren, doppelt süchtig den Bonbons hinterdrein: wenn er keine in seiner Tasche hatte, erfand er sich welche. Und wir schrieben übers gleiche Thema.  - (hundej)

 

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