Schuhputzer  Neben dem Häuschen des Passagenwärters mit den hübschen Häkelgardinen können wir kurz Rast machen: da ist der Schuhputzer, es kostet nur zwölf Sous und wir werden von dort weggehen mit Sonnen an den Füßen. Diese Schuhputzer sollen schicke moderne Läden haben. Welch ein Sinn für Dekoration in diesen Boutiquen des Glanzes! trotz ihres Amerikanismus und ihrer nicht gerade kunstvoll gestalteten Auslagen. Und sehen Sie nur, was für feine Leute diese Schuhputzer sind! Die Höflichkeit in Person. Und dann ihre Art, einen eine Ewigkeit warten zu lassen, während sie unerklärlicherweise Schuhe wichsen, die bereits blenden vor Glanz, ohne Zweifel, weil sie sich von der Leidenschaft für ihre Kunst hinreißen lassen. Eine mindere Kunst, zugegeben, aber Kunst, Kunst, Kunst. Freilich kann man die befremdliche Abwesenheit jeglicher Metaphysik in der Kunst des Schuhputzers bedauern. Vielleicht wäre sie weniger umstritten, trüge sie den jüngsten Errungenschaften des Geistes etwas mehr Rechnung. Auch mag man bedauern, daß in einer Zivilisation wie der unsrigen die Schuhputzer seit der Zeit ihrer romantischen Vorfahren kaum technische Fortschritte gemacht haben. Ihre Erfindungsgabe zeigte sich bisher eher in der Ausstattung ihrer Läden. Die große Entdeckung auf diesem Gebiet waren die erhöhten Lehnstühle, auf die ein New Yorker Schuhputzer gekommen sein soll, oder anderen Autoren zufolge ein italienischer Schuhputzer, der einst als blutjunger Bursche in den Bars angefangen und über die Bequemlichkeit der hohen Barhocker für die Ausübung seines Berufes sinniert hatte. Diese Podiumsplätze, zu deren Füßen der Schuhputzer sich freiwillig erniedrigt, eignen sich außerordentlich gut zum Träumen. Würden die Gelehrten sich ihre Schuhe putzen lassen, was für wunderbare Maschinen, was für grandiose philosophische Systeme wären den Lehnstühlen der Schuhputzer zu verdanken! Aber das ist es ja eben: Die Gelehrten lassen ihre Schuhe schmutzig und ihre Fingernägel ungepflegt. Es handelt sich also nicht um Gelehrte bei diesen Passagieren eines vor Anker liegenden Schiffs, bei diesen Spaziergängern, die hierher kommen, sich von Schmutz und Staub zu reinigen, um zur Meditation zu gelangen, und deren Herz sicher von einer großen Liebe erfüllt ist. Dichter? Wer weiß, Offiziere im Ruhestand, Hochstapler, Börsenspekulanten, Makler, Vertreter, Sänger, Tänzer, Irre, Verfolgte, niemals Priester, aber elegische Gemüter, steinreiche Straßenhändler, Spione, Verschwörer, vom Verwaltungsrat bestochene Politiker, Polizisten in Zivil, Kellner an ihrem freien Tag, Journalisten und Protestanten, Ausländer, Meuchelmörder, Angestellte des Kolonialministeriums, Zuhälter, Buchmacher und Gespenster. Wäre ich ein Gespenst, ich würde hier umgehen. Ich würde meine Schuhe zum Blankputzen geben und mich in Gespenstermanier auf einen dieser Glücksthrone setzen wie die Statue eines Spuks.  - (ara)

Schuhputzer (2)  Da schleicht ein uraltes schmutziges Männchen die Wand entlang. Wie ich ihn von vorn besehe, ist er wachsbleich. Den Mund hält er weit offen, das linke Auge ist klein und rot, das Augenlid umgestülpt bloß. Das rechte Auge aber sperrt er auf, es ist weißlich. Er tastet mit dem Stock in seiner linken Hand vor sich. So tappt er die verfallene Mauer entlang am hellen Mittag.

Ein kleiner jüdischer Stiefelputzer erspäht mich, schießt auf mich zu, zieht mich von der Straße an den Hauseingang. Blitzschnell bearbeitet er mit Stößen der Bürsten rechts und links meine Schuhe; das Tuch zum Schluß reißt in der Hitze der Arbeit. Die Schuhe funkeln zuletzt wie Lack. Drei andere Jungens haben sich um uns versammelt. Der Putzer und sie wechseln kurze erregte, feindselige Worte. Dann ist der Junge fertig, ich frage nach dem Preis. In dem Augenblick ergreift die drei anderen Jungens eine Spannung, und sie rücken heran. Er verlangt zwei Slotys; zwei ganze Slotys! Ihm stehen 50 Groschen, der vierte Teil, zu. Die Jungens warten, was ich auf die Frechheit antworten werde. Und ich - zahle zwei Slotys. Hinterher kann ich dann aus dem Gedränge das strahlende Gesicht meines Putzers beobachten und wie die drei anderen sich gierig und haßvoll verständigen, mein Putzer plötzlich dicht bei mir vorbeischießt, Reißaus nimmt, die andern mit Hallo hinter ihm.  - Alfred Döblin, Reise in Polen. München 1987 (zuerst 1925)

Schuhputzer (3)  
 

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