Mit dem vom Tode gezeichneten, abgeklärten Swann und den Guermantes auf dem
Weg zu einem Fest stehen sich zwei Welten gegenüber, die nicht miteinander kommunizieren
können. Würden die Guermantes zulassen, daß die Nachricht vom Tod in ihr Bewußtsein
eindringt, wäre ihre Welt vom Zusammenbruch bedroht, da kein soziales Ereignis
und keine gesellschaftliche Hierarchie ihre absolute Bedeutung behalten könnten.
Der panische Schuhwechsel, den der Herzog trotz seiner Verspätung mit »furchtbarer
Stimme« anordnet, wird schließlich zum greifbaren Symbol für diese Unfähigkeit
der Guermantes, den Tod in ihre Welt aus sozialen Ereignissen und Vergnügungen
zu integrieren. In ihrer Hilflosigkeit wird der Schuhwechsel zu einer Übersprunghandlung,
mit der sie den Störfaktor Tod (die schwarzen Schuhe) ganz konkret und wie in
Panik von sich streifen, um dem weiter nach-gehen zu können, was für sie Leben
(rote Schuhe) bedeutet: ihrer mondänen Existenz, ihrer unmittelbaren Lustbefriedigung.
- Ulrike
Sprenger, Proust-ABC. Leipzig 1997
- Thomas Bernhard, Watten.
Ein Nachlaß. In: T.B., Die Erzählungen. Frankfurt am
Main 1979
Schuhe (3)
Schuhe (4) »Und wie ist es mit dem Keuschheitsprinzip? Worin besteht ein Verstoß gegen das Keuschheitsprinzip?«
»Das solltest du doch aus der Fuchsenstunde wissen.«
»Bezieht es sich darauf, wenn eine Commilitonin im Colleg neben mir ihren silbernen Schuh auszieht, denselben vor sich aufs Pult stellt, und ich insgeheim erregt werde beim Gedanken: dieser Schuh ist innen warm?«
Der Fuchsmajor schob den Unterkiefer vor, schaute an die Decke und sagte:
»Ein Verstoß gegen das Keuschheitsprinzip liegt beispielsweise vor, wenn du
dir drüben im Zeitungskiosk auf der Brücke die Zeitschrift ›Die Ehe‹
kaufst.« Dann ging er weg. -
Hermann Lenz, Spiegelhütte. Frankfurt am Main 1999 (zuerst 1962)
Schuhe (5) Watt trug an den Füßen einen braunen Schnürstiefel und einen glücklicherweise auch bräunlichen Halbschuh. Diesen Schnürstiefel hatte Watt für acht Pence von einem Einbeinigen gekauft, der, da er sein Bein und a fortiori auch seinen Fuß bei einem Unfall verloren hatte, glücklich war, bei seiner Entlassung aus dem Krankenhaus das einzige in seinem Besitz gebliebene verkäufliche Gut zu versilbern. Er ahnte kaum, daß er dieses Glück der Tatsache verdankte, daß Watt wenige Tage früher am Meeresstrand einen zwar salzharten, aber marschtauglichen Halbschuh gefunden hatte.
Die Farben dieses Halbschuhs und dieses Schnürstiefels waren einander so nahe, und ihre Oberleder waren so verhüllt, zunächst von den Hosen und dann auch von dem Mantel, daß man sie beinahe nicht für einen Halbschuh einerseits hätte halten können und nicht für einen Schnürstiefel andererseits, sondern für ein richtiges Paar Schnürstiefel oder Halbschuhe, wenn der Schnürstiefel vorne nicht stumpf und der Halbschuh vorne nicht spitz gewesen wäre.
In diesem Schnürstiefel Größe neunundvierzig und diesem Halbschuh Größe fünfundvierzig
litt Watt, der Schuhgröße siebenundvierzig hatte, wenn nicht tausend Tode so
doch Folterqualen an seinen Füßen, von denen jeder freiwillig seinen Platz mit
dem des anderen getauscht hätte, und wenn es nur für einen Moment gewesen wäre.
- (wat)
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