Schützenkönig   «Ich verkrieche mich in diesen Lagerschuppen», sagt der Lange Julius, «nachdem sich jemand in dem Kaff ein Juweliergeschäft vornimmt und die Blauen sofort mir die Schuld in die Schuhe schieben wollen. Dieser Schuppen ist nicht grade das, was ich mir aussuche, wenn ich die Wahl habe, denn es ist ein altes Lagerhaus für Pelze, und es riecht dort ganz komisch. Aber in dem Rummel um den Juwelierladen jagt mir jemand ne blaue Bohne in die Hüfte, und Leon Pierre schleppt mich in den alten Lagerschuppen raus, und da sitze ich nun fest, bis ich wieder in Ordnung bin.

Es ist sehr einsam dort», sagt der Lange Julius, «wirklich, du staunst, wie einsam es da ist, und es ist fürchterlich kalt, und meine einzige Gesellschaft sind nur ein Haufen Ratten. Ich persönlich habe auch sonst schon nie was für Ratten übrig, weil sie Krank-heitsbazülen an sich rumschleppen und dazu fähig sind, einen im Schlaf zu beißen, wenn sie Hunger haben, und genau das versuchen diese Ratten auch bei mir.

Der Lagerschuppen liegt ganz einsam für sich», sagt Julius, «und kein Mensch kommt je in diese Gegend, außer Leon Pierre, der mir was zu essen bringt und mir die Hüfte verbindet, und nachts ist es sehr still, und man hört überhaupt nichts wie nur den Wind, der draußen heult, und die Ratten, die überall rumrennen. Es sind riesige Biester darunter, einige sind so groß wie Karnickel, und sie sind richtig unverschämt, was das betrifft. Anfangs bin ich bereit, mich mit diesen Ratten anzufreunden, aber sie sind scheints sehr unliebenswürdig, und nachdem sie ein paarmal an mir rumnaschen, sehe ich ein, es hat keinen Sinn, mit ihnen paktieren zu wollen, deshalb lasse ich mir von Leon Pierre jeden Tag eine Menge Munition für meine Knarren mitbringen und benutze die Ratten als Schießscheiben.

Der Schuppen liegt so weit abseits, daß keine Gefahr besteht, jemand könnte die Knallerei hören», sagt der Lange Julius, «und mir hilft es, die Langeweile zu vertreiben. Ich bringe es so weit, daß ich jede Ratte treffe, im Sitzen, im Laufen und sogar in der Luft, diese Lagerhausratten springen nämlich oft von einem Ort zum andern wie die Bergschafe, wobei sie meistens darauf aus sind, im Vorbeifliegen einen anständigen Happen von mir abzubeißen.

Jawohl, mein Lieber», sagt Julius, «eines Tages schreibe ich die Resultate mal auf und ich treffe fünfzig Ratten hintereinander, ohne eine einzige zu verfehlen, womit ich den Titel als Weltmeister im Rattenschießen mit der 9 mm-Pistole beanspruchen kann, obgleich ich natürlich», sagt er, «jederzeit bereit bin, auch eine Wette einzugehen, wenn mich einer zum Wettschießen auf Ratten rausfordern will. Ich bringe es so weit, daß ich meine Schüsse vorher genau ansagen kann, und tatsächlich nehme ich mir einige Male vor, die da will ich ins rechte Auge treffen und die ins linke, und jedesmal treffe ich genau, wie ich voraussage, obgleich es, wenn man eine Ratte aus der Nähe mit einer 8-Millimeter trifft, manchmal nicht möglich ist, hinterher genau zu sagen, wo man sie trifft, weil man sie scheints überall am ganzen Wanst getroffen hat.

Langsam scheine ich die Ratten einigermaßen zu verscheuchen», sagt Julius, «und sie ziehn es vor, mir lieber die kalte Schulter zu zeigen, und sie versuchen nicht mehr, mich anzuknabbern, nicht mal mehr, wenn ich schlafe. Sie kriegen spitz, daß keine Ratte wagen darf, mich auch nur mit ihren Barthaaren zu kitzeln, oder sie bezieht prompt ne scharfe Rasur. Also muß ich mich nach einer anderen Unterhaltung umsehn, aber in so einer Bude ist nicht viel los, obgleich ich schließlich einen Haufen medizinischer Bücher finde, die sich als sehr interessante Lektüre rausstellen. Diese Bücher werden scheints von einem Doktor zurückgelassen, der sich dorthin verzieht, um sich ein bißchen zu sammeln, nachdem er mit dem Messer an seiner treuliebenden Gattin rumexperimentiert. Tatsächlich hat er seiner treuliebenden Gattin scheints den Kopf abgesäbelt, und sie kann so nicht weiterleben. Deshalb nimmt er seine Bücher und geht in den Lagerschuppen und bleibt dort, bis der Arm des Gesetzes ihn ausfindig macht und ihn ganz hoch oben aufknüpft.  - Damon Runyon: Schwere Jungen, leichte Mädchen. Reinbek b. Hamburg 1961 (rororo 197)

 

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