chütze,
guter
Es trug sich zu, daß in einem großen Walde der Förster, welcher
die Aufsicht darüber führte, totgeschossen wurde. Der Edelmann, dem der Wald
gehörte, gab einem ändern den Dienst, aber dem widerfuhr ein gleiches, und so
noch einigen, die aufeinanderfolgten, bis sich niemand mehr fand, der den gefährlichen
Wald übernehmen wollte. Sobald nämlich der neue Förster hineintrat, hörte man
ganz in der Ferne einen Schuß fallen, und gleich auch streckte eine mitten auf
die Stirn treffende Kugel ihn nieder; es war aber keine Spur ausfindig zu machen,
woher und von wem sie kam.
Gleichwohl meldete sich nach ein paar Jahren ein herumziehender Jäger wieder um den Dienst. Der Edelmann verbarg ihm nicht, was geschehen war, und setzte noch ausdrücklich hinzu, so lieb es ihm wäre, den Wald wieder unter Aufsicht zu wissen, könnte er ihm doch selbst nicht zu dem gefährlichen Amte raten. Der Jäger antwortete zuversichtlich, er wolle sich vor dem unsichtbaren Scharfschützen schon Rat schaffen, und übernahm den Wald. Ändern Tags, als er, von mehreren begleitet, zuerst hineingeführt wurde, hörte man, wie er eintrat, schon in der Ferne den Schuß fallen. Alsbald warf der Jäger seinen Hut in die Höhe, der dann, von einer Kugel getroffen, wieder herabfiel. „Nun", sprach er, „ist aber die Reihe an mir", lud seine Büchse und schoß sie mit den Worten: „Die Kugel bringt die Antwort!" in die Luft. Darauf bat er seine Gefährten, mitzugehen und den Täter zu suchen. Nach langem Herumstreifen fanden sie endlich in einer an dem gegenseitigen Ende des Waldes gelegenen Mühle den Müller tot und von der Kugel des Jägers auf die Stirn getroffen.
Dieser herumziehende Jäger blieb noch einige Zeit in Diensten des Edelmanns,
doch weil er das Wild festbannen und die Feldhühner aus der Tasche fliegen lassen
konnte, auch in ganz unglaublicher Entfernung immer sicher traf und andere dergleichen
unbegreifliche Kunststücke verstand, so bekam der Edelmann eine Art Grausen
vor ihm und entließ ihn bei einem schicklichen Verwände aus seinem Dienst. - (
sag
)
Schütze, guter (2) Der Kommissar stand auf, ging zum Spind, nahm ein Fläschchen Öl heraus, ein Stück Wollstoff, eine Laufbürste und sagte: »Seit Jahren habe ich meine Pistole nicht mehr gereinigt.« Er zog sie aus dem Halfter, das er am Gürtel trug, und legte sie auf denTisch. Dann öffnete er sie und ließ die Patronen herausfallen. Der Brigadier begriff. Die Buchstaben der Zeitung, die vor ihm lag und die er zu lesen vorgab, verwischten sich, liefen ineinander und setzten sich zu der Schlagzeile zusammen, die der Kommissar in den Zeitungen des nächsten Tages zu lesen hoffte: Polizeikommissar erschießt versehentlich Untergebenen.
Er sagte: »Ich reinige meine regelmäßig... Sind Sie ein guter Schütze?«
»Ein ausgezeichneter«, sagte der Kommissar. Und der Brigadier, der ihn warnen und zugleich sein Gewissen entlasten wollte: »Geben Sie acht. Um ein guter Scharfschütze zu sein, reicht es nicht aus, ins Schwarze zu treffen. Man muß wendig und schnell sein...« »Ich weiß.« O nein, dachte der Brigadier, du weißt es nicht. Du weißt jedenfalls nicht, was ich weiß. Er legte seine Pistole jeden Morgen in die rechte obere Schreibtischlade. Langsam und leise öffnete er sie mit der Rechten, während er mit der Linken die Zeitung vor sich hielt. Seine Finger schienen sich vervielfältigt zu haben, waren flinker geworden und seine Sinne schärfer. Alles in ihm vibrierte, wie eine dünne, gespannte Metallschnur. Der atavistische Instinkt des Bauern, mißtrauisch und wachsam zu sein, Verdacht zu schöpfen und immer das Schlimmste vorauszusehen und zu erkennen, war in ihm erwacht und erregte ihn aufs äußerste.
Der Kommissar hatte die Reinigung seiner Pistole beendet, lud durch, legte an und tat so, als zielte er auf die Lampe, den Kalender, die Türklinke. Doch in dem Augenblick, in dem er sie mit unerwarteter Geschwindigkeit auf den Brigadier richtete und abdrückte, hatte dieser sich schon samt Stuhl auf die Erde fallen lassen, hatte die Zeitung vor der Pistole weggezogen und einen Schuß direkt ins Herz des Kommissars gefeuert, der auf die Papiere fiel, die vor ihm lagen, und sie mit Blut überschwemmte.
»Er war ein guter Schütze«, sagte der Brigadier, als habe er einen Wettkampf
gewonnen, und betrachtete die Einschußstelle hinter seinem Schreibtisch. »Aber
ich habe ihn gewarnt.« - Leonardo
Sciascia, Ein einfacher Fall [mit: Der Ritter und der Tod] Berlin 1990
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